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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition)
Autoren: Matthias Gereon
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Prolog
    Sie lag wach in ihrem Bett und zog sich die dünne Decke bis unters Kinn. Sie fror. Die gedimmte Lampe auf dem Nachttisch warf nur spärliches Licht in den karg möblierten Raum. Sie horchte ins Halbdunkel hinein und hörte das Bollern der Heizung, die es kaum schaffte, das Zimmer zu erwärmen.
    Außer den ruhigen, flachen Atemzügen ihrer Freundin, die aus dem Bett nebenan leise zu ihr herüberwehten, war nur das regelmäßige Ticken der Wanduhr zu hören. Sie strengte sich an, um die Zeiger zu erkennen. Es war zwanzig Minuten vor zehn. Über eine halbe Stunde lag sie also schon da und konnte nicht einschlafen. Wie so oft.
    Sie dachte an die schönen, schaurigen und lustigen Geschichten, die ihre Mutter ihr früher vorgelesen hatte, wenn sie nicht schlafen konnte. Ronja Räubertochter, Aschenputtel, Rapunzel und die Brüder Löwenherz. All diese liebenswürdigen Gestalten waren treue Begleiter auf ihrem Weg ins Land der Träume gewesen. Als sie anfing, selber zu lesen, waren es die Geschichten von Hanni … Plötzlich riss sie etwas aus ihren Gedanken. Das Geräusch von Schritten auf dem Linoleumboden des Flures drang in das Zimmer. Sie erstarrte, während lähmende Angst in ihren kleinen Körper kroch und sich wie ein wucherndes Geschwür ausbreitete.
    Sie kannte die Schritte und wusste nur zu gut, was sie erwartete. Wie gelähmt starrte sie auf die Zimmertür. Sie würde das Böse nicht aufhalten können. Panisch sah sie mit an, wie die Klinke sich bewegte, die Tür langsam aufglitt und hinter der eingetretenen Gestalt geräuschlos ins Schloss fiel.
    Der Mann verharrte im trüben Schein der Nachttischlampe und durchmaß den Raum mit einem prüfenden Blick. Dann sah er ihr direkt in die Augen. Im selben Moment zogen sich seine Mundwinkel nach oben und verliehen seinem Gesicht einen schauderhaften Ausdruck.
    „Wie ich sehe, schläft deine Freundin.“
    Der Klang seiner Stimme ließ alles in ihr verkrampfen.
    „Wollen wir sie wecken?“
    Das Flüstern wurde noch leiser, während er auf sie zukam.
    „Nein, heute Abend kümmere ich mich nur um dich.“
    Seine Worte drangen wie durch Watte an ihr Ohr und verursachten Übelkeit.
    Langsam schritt er bis zum Fußende ihres Bettes, schlug wortlos die Decke beiseite und ließ seine Blicke gierig an ihrem Körper herabgleiten. Sie sah, wie das widerwärtige Lächeln erneut seine Mundwinkel umspielte, als er sich an dem Reißverschluss seiner Hose zu schaffen machte. Dann packte er sie an den Füßen und zog ihren Körper näher zu sich heran. Er beugte sich vor, griff in den Bund ihres Schlüpfers und zerrte ihn zusammen mit der Schlafanzughose von ihren dünnen Beinen. Der beißende Geruch von Schnaps stieg ihr in die Nase. Unter die quälende Angst und die Übelkeit mischte sich das Gefühl unbeschreiblichen Ekels.
    Sie spürte seinen eisernen Griff an ihren Fußgelenken, das grobe Auseinanderdrücken ihrer Beine. Als er kurz darauf mit einem Stöhnen in sie eindrang, explodierte ein flammender, stechender Schmerz in ihrem Körper. Sie durfte nicht schreien, das wusste sie. Wenn sie schrie, würde er ihr noch viel größere Schmerzen zufügen, damit hatte er wieder und wieder gedroht.
    Völlig benommen vor Angst und Schmerz und unfähig, ihrem Peiniger ins Gesicht zu schauen, drehte sie den Kopf zur Seite.
    Julia hatte sich vollständig unter der Bettdecke vergraben. Sie war also wach.
    Selbst in ihrer grenzenlosen Qual hoffte sie, dass er ihre Freundin heute verschonen würde. Sie wollte ihn nicht provozieren, lag einfach nur da und ertrug den Rhythmus seines massigen, schwitzenden Leibs.
    Nach und nach legte sich ein Schleier über ihr Bewusstsein. Die Geräusche wurden leiser, der Schmerz wurde dumpfer, die Gefühle verschwammen. Sie wurde leicht. Das alles geschah nicht ihr, stellte sie sich vor. Sie lag gar nicht mehr in diesem Bett. Sie war hochgeflogen und saß wie ein kleiner Vogel in einem sicheren Versteck weit oben im Baum. Von dort schaute sie auf eine völlig Fremde herab.
    Ein erneutes Aufwallen des Schmerzes ließ sie zurückkehren und kündigte endlich an, dass das Martyrium für dieses Mal zu Ende war.
    „Danke, Kleine“, raunte der Mann spöttisch, nachdem er von ihr abgelassen hatte, und schloss mit zittrigen Fingern den Reißverschluss seiner Hose. Einen kurzen Moment starrte er sie ohne erkennbare Gefühlsregung an. Dann wandte er sich zum Gehen. Mit dem Gesicht zur Tür, die Hand lag bereits auf der Klinke, hielt er inne und flüsterte:
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