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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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Tage zuvor und ein paar Tage danach benutzt wird, kam zum Vorschein. Ableben, Überführung des Leichnams, Trauerfeier, Begräbnis, der Verschiedene… Worte ohne Wirklichkeit, Sprache der Bestattungsinstitute für die trauernden Hinterbliebenen und die Todesanzeigen. Für mich war Gauvain nicht verschieden, er war tot. Mein Kormoran würde seine Flügel nie wieder ausbreiten.
    Die Beerdigung fand in Larmor statt. In der Kirche, in der die Familie und die Freunde mit Mühe Platz fanden, nahm Marie-Josée Abschied vom Vater ihrer Kinder, Madame Lozerech von ihrem jüngsten Sohn, und George Ohne-es weinte um den, den alle für ihren Freund aus der Kindheit hielten. Nach dem Gottesdienst habe ich mich dem langen Trauerzug angeschlossen, der sich zum Friedhof bewegte, wo die Gräber so kurz nach Allerheiligen noch unter der wuchernden Last der Chrysanthemen verschwanden, und ich habe zugesehen, wie Gauvain ins Familiengrab hinuntergelassen wurde, das übliche Quietschen der Seile war das letzte, was er hörte vor der Stille der Erde. Ach, es wäre besser gewesen, er hätte sich »sein Loch im Wasser graben« dürfen, wie er es oft nannte.
    »Von seiner Rente hat er nicht viel gehabt, der Arme«, sagte Yvonne immer wieder, zutiefst betrübt über diese Verschwendung. Wie auch ihr Mann hatte ihr Bruder sein Leben lang Beiträge bezahlt und war nun gestorben, ohne seinen Einsatz wieder herausgeholt zu haben. Zum Glück für ihn, dachte ich mir. Kormorane können nur draußen auf hoher See leben. Sie lassen sich nie lange auf festem Boden nieder. Am ältesten Sohn erkannte ich ‒ und dabei überkam mich der heftige Wunsch, noch einmal mit meinen Fingern hindurchzufahren ‒ das rotbraun schimmernde Haar des Vaters, das so dicht gelockt war wie bei manchen griechischen Statuen, und die intensiv blauen Augen, die von den stark gebogenen Wimpern kaum beschattet wurden. Aber ansonsten handelte es sich um einen großen, schlanken Fremdling mit schmalen Schultern, der nichts von Gauvains kräftiger Statur hatte. Als wollte er den Unterschied noch betonen, trug er lässig ein amerikanisches Blouson. Lozerechs komplette Mannschaft, seine noch lebenden Brüder und seine Freunde standen da, linkisch, wie es die Männer auf Friedhöfen sind, die Mütze in der Hand. Das einzige, was ich mir von ihm als Erinnerung gewünscht hätte, war seine Fischer-Seemanns-Mütze, jene Mütze, deren glänzender Schirm immer eingebeult war von seinem Daumen, den er stets auf die gleiche Stelle drückte, wenn er sie mit jener automatischen Geste, die mir so vertraut war, auf seinen ungebändigten Haaren wieder zurechtrückte. Dank solcher Details bleiben die Toten noch unter uns: ein bestimmter, schaukelnder Gang, ein strahlendes Lachen, ein Blick, der umkippt, wenn von Liebe die Rede ist. Ich würde es schwer haben, ohne ihn zu leben, ich würde »dran kauen«, wie er so gern sagte. Niemand würde mich mehr Karedig nennen. Mir blieb aber die Gewißheit, alles von ihm bekommen zu haben, wovon Liebe erstrahlen kann. Und während auf seinen Sarg die empörenden Schaufeln Erde fielen, fragte ich mich plötzlich, ob nicht er, Lozerech, mein richtiger Mann gewesen war.
    »Er war der beste meiner Söhne«, wiederholte Madame Lozerech trockenen Blickes, aber mit von Schluchzen geschütteltem Körper. Ja doch, er war ein guter Kerl, sagte die Anstandsdame anerkennend, die plötzlich von jenseits auftauchte, da wir uns ja im Reich der Toten bewegten. Bei dir weiß ich das nicht so recht… aber er, er war ein guter Kerl. Es regnete, und der Wind pfiff von Südwesten, so hatte er ihn oft gehört. Eine andere Musik hätte er nicht gewählt. Unter meinem Ölzeug griff ich nach der Kette, dem Anker und dem Anhänger, auf dem ich nichts würde eingravieren lassen. Nichts war zu Ende. Obwohl es nicht wirklich kalt war, erschauerte ich, als ob meine Haut um ihn trauerte. Um einen Mann trauerte, mit dem ich nie ein Weihnachten verbracht hatte. Und trotzdem werde ich in einem Monat mein erstes Weihnachten ohne ihn verbringen.
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