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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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Schauspielermund besser einzuprägen, entdecke ich plötzlich, daß er müde wirkt. Ich war zu sehr in seiner Nähe in den vergangenen vierzehn Tagen, um ihn mir genau anzusehen. Seine Augen hatten tiefere Ringe bekommen, während meine leuchtender wurden und ich in meinen Adern die Hormone der Lust fließen spürte ‒ das Endorphin, würde die Anstandsdame sagen, wenn sie noch reden könnte. In Wahrheit ist es, entgegen allgemeiner Behauptung, der Mann, dem die Liebe zusetzt. Der Mann entleert und erschöpft sich, während die Frau aufblüht. Außerdem kehre ich erfüllt in ein angenehmes Leben zurück, zu einem Mann, der mich erwartet, und in einen Beruf, der selten an meinen Kräften zehrt, während sein einziger Horizont aus Einsamkeit auf einer Galeere und aus Langusten besteht. Nur wenn unsere Körper sich lieben, vergesse ich, wie sehr wir zwei einander fremden Arten angehören. In meiner Jugend habe ich lange Zeit gedacht, sich lieben bedeute, eins zu werden. Und nicht nur in der flüchtigen, banalen Vereinigung der Körper, nicht nur in einem mystischen Orgasmus. Ich denke es nicht mehr. Heute glaube ich, daß sich lieben bedeutet, zwei zu bleiben, bis zur Zerrissenheit. Lozerech ist nicht meinesgleichen und wird es niemals sein. Aber vielleicht ist es das, was unsere Leidenschaft begründet.

XI MONTREAL SEHEN UND STERBEN
    Man wird nicht jeden Tag ein bißchen älter, man altert schubweise. Manchmal bleibt man längere Zeit auf der gleichen Stufe stehen, man glaubt schon, man sei in Vergessenheit geraten, da erwischt es einen ganz plötzlich, und man hat zehn Jahre auf einmal auf dem Buckel.
    Aber auch das Alter fängt mit einer Art Jugend an; es nimmt sich Zeit, bevor es sich endgültig breitmacht. Es läßt einen in Ruhe und nimmt einen dann wieder in seine Fänge mit grausamer Unbekümmertheit. Es kann vorkommen, daß man sich am gleichen Tag noch sehr gut und schon ganz mies fühlt! Wie in der Jugend passieren einem auch jetzt wieder Dinge zum erstenmal… der erste Schwund des Zahnfleischs über diesem Eckzahn, der bislang noch vollkommen in Ordnung war. Man könnte nicht sagen, an welchem Tag es angefangen hat, und plötzlich ist es da, dieser gelbliche Zahnhals oben, dieses scheußliche Ziehen im Gelenk eines Morgens beim Aufstehen… Offenbar habe ich mich gestern beim Aufräumen des Dachbodens ein wenig überanstrengt, denkt man. Aber nein, man hat auch nicht mehr als sonst getan. Nur daß man eben nicht wie sonst ist. Der Raum für Müdigkeit ist größer geworden und wird sich jeden Tag mehr ausdehnen. Man tritt sein Alter an. Am Anfang wehrt man sich. Einige Schlachten gewinnt man, es gelingt, der Invasion Einhalt zu gebieten, indem man immer komplexere, immer kostspieligere Gegenmanöver inszeniert. Die Zeit ist noch nicht gekommen, wo man ebenso viele Stunden damit zubringt, die Einbruchstellen wieder abzuriegeln, wie das Leben zu leben.
    Ich hatte das große Privileg, die ersten Anzeichen des bösen Leidens an meinem Körper ohne Angst zu beobachten, weil ihn jemand liebte. Ich tätschelte meinen etwas fülligeren, nicht mehr so muskelglatten Bauch ohne allzuviel Widerwillen, weil ihn jemand liebte. Ich beobachtete die zunehmende Erschlaffung meiner Arme schicksalsergeben, weil mich jemand liebte. Meine Furchen um den Mund, die Fältchen um die Augen, die immer tiefer wurden: Siehe da, ja, das ist eine dumme Sache, aber es gibt jemand, der mich liebt. Keine Verfallserscheinung konnte mich deprimieren, solange Gauvain mich begehrte. Gewiß, auch François liebt mich, aber ohne mich beruhigen zu können über mein Äußeres, dessen Veränderung er anscheinend nicht bemerkt. Er gehört zu jenen Männern, die einen just an dem Morgen photographieren wollen, wo man mit dem falschen Fuß aufgestanden ist, wo das Haar nicht zu bändigen, der Teint besonders fahl und der Morgenmantel total aus der Form geraten ist ‒ und dazu neigen diese verdammten Morgenmäntel, sobald die Inhaberinnen nicht mehr dreißig und sie selber älter als drei Monate sind. Und das freundliche »Ich finde dich aber hübsch wie sonst auch« entwertet alle vergangenen und alle zukünftigen Komplimente.
    Gauvain hingegen ist nicht »nett« zu mir; er läßt sich umwerfen von meinen Reizen. Mit fünfundfünfzig Jahren ist er so feurig wie nie zuvor, zweimal im Jahr habe ich die Gelegenheit, mich dessen voll und ganz zu vergewissern.
    Der Staat Quebec war in der Tat für ein paar Jahre unsere zweite Heimat geworden. Ich
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