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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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juristisch. »Ist es zur Penetration gekommen, Fräulein X?«
    »Unzucht treiben« gehört in den Dunstkreis von Beichtstuhl und Sünde. Und »Kopulation« klingt nach Mühsal, »Begattung« klingt tierisch, »schlafen mit« ist langweilig und »vögeln« hört sich nach Schnellverfahren an.
    Oder lieber »quindipsen« oder »das Schatzkästlein aufschließen«? »Den Specht hacken lassen« oder »die Liebesgrotte abkühlen«? Dies sind leider in Vergessenheit geratene Ausdrücke, heitere Erfindungen einer jungen, unbekümmerten Sprache, die sich noch keine Zügel hatte anlegen lassen.
    Heutzutage, in einer Zeit der verbalen Inflation, wo sich die Wörter noch schneller abnutzen als die Kleider, bleiben uns nur noch die schweinischen Wörter oder die Wörter aus der Nuttensprache, die durch ständige Verwendung ihre Farbe verloren haben. Und dann gibt es ja auch noch das brave »ins Bett gehen«, es steht allzeit zur Verfügung und hat kaum noch einen emotionalen oder erotisch-skandalösen Beiklang. Es ist literaturunfähig, gewissermaßen.
    Und wenn die Rede auf die Organe kommt, die besagte Lust kanalisieren, dann warten auf den Schriftsteller, und mehr noch wahrscheinlich auf die Schriftstellerin, neue Klippen. »Jean-Phils Rute war zum Bersten steif… Mellors Phallus ragte empor, majestätisch, schreckenerregend… Das Gemächt des stellvertretenden Direktors… Dein geliebter Hodensack… Sein Penis, deine Scham, ihr Liebesschlupfloch… Amanda, deine Vagina… deine Klitoris, liebe Doris…«
    Wie könnte man da der Komik entrinnen? Wenn es sich um Sex handelt, verliert sogar die Anatomie ihre Unschuld, und die Wörter, diese verdammten Schurken, die ihr Leben unabhängig von uns führen, zwingen uns feststehende Bilder auf und verbieten einen unbefangenen Gebrauch. Sie gehören zum Medizinerlatein oder zum Schundvokabular, zum Pennälerjargon oder zur Gossensprache. Wenn sie überhaupt existieren. Denn das Vokabular der weiblichen Lust erweist sich, sogar bei den größten Autoren, als bestürzend armselig. Man müßte alles vergessen können, angefangen von der Fachpresse für Schwellkörper über die Photoromane mit Schleimhautgroßaufnahmen bis zu den Doppelaxel der Sexakrobaten, die von blasierten, schlecht bezahlten Redakteuren kommentiert werden. Und gründlicher noch müßte man die modische Hochglanzerotik vergessen, die von einer gewissen philosophischen Schickeria propagiert wird; leider gehört es zum guten Ton, sie zu schätzen, weil der intellektuelle Jargon ihre Schändlichkeit vernebelt. Und doch: Die Geschichte, die ich erzählen möchte, existiert nicht ohne die Beschreibung der »Sünde Dideldum«. Die Helden meines Romans haben einander verführt, indem sie sich der Sünde Dideldum hingaben. Um Dideldum zu machen, haben sie sich quer über den Erdball verfolgt; einzig und allein deswegen konnten sie nie mehr voneinander lassen, obwohl sie eigentlich alles trennte.
    Es wäre schmeichelhaft und, was die Erklärung dieser Liebe angeht, gewiß bequemer, wenn auf eine ideelle oder kulturelle Übereinstimmung, auf eine Kinderfreundschaft, auf eine seltene Begabung bei einem der beiden oder auf ein rührendes Gebrechen hingewiesen werden könnte… aber es bleibt nichts anderes übrig, als sich die nackte Wahrheit einzugestehen: Diese beiden waren dazu geschaffen, nichts voneinander zu wissen, ja sich zu verachten, und allein die unartikulierte Sprache der Liebe hat es ihnen ermöglicht zu kommunizieren, allein die Magie des Hineinsteckspiels ‒ auch die Prädestinationsgeschichten, die man in solchen Fällen gerne anführt, ändern da nichts, auch nicht die geheimnisvollen Tropismen oder das Spiel der Hormone oder sonst irgendwas ‒ allein diese Magie hat sie so tief aneinander binden können, daß alle Schranken fielen. Übrig bleibt die Aufgabe, den auf dieser Erde meistpraktizierten Akt als etwas Hinreißendes zu schildern. Denn wozu schreibt man, wenn nicht, um den Leser hinzureißen? Aber wie soll man jene Himmelshoffnung, die zwischen den Beinen der Männer und der Frauen aufleuchtet, einfangen? Wie das, was sich überall und immer schon zwischen gleichen oder verschiedenen, kümmerlichen oder großartigen Genitalien abspielt, als ein Wunder ausgeben? Ich verfüge über keinerlei Wissen, das andere nicht hätten, über keinerlei Worte, die andere nicht schon überstrapaziert haben. Es handelt sich keineswegs um eine Reise in unbekannte Gefilde: Es gibt kein unentdecktes Neuguinea der
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