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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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erfüllte es seine Funktion und erwies sich dann als unentbehrlich). Wir, die Bewohnerinnen einer piekfeinen kleinen Villa, wurden gezwungen, jeden Abend unser Spielzeug aufzuräumen und jeden Tag unsere weißen Stoffsandalen mit Schlämmkreide zu behandeln. Der Austausch hatte stets in dieser Richtung funktioniert, was ich in meiner täglichen Lektüre, den Büchern der Bibliothèque Rose * , bestätigt fand: Dort sah ich, wie Madame Fleurville oder Madame de Rosbourg die bedürftigen Frauen, die jungen Wöchnerinnen, die verlassenen Mütter oder die armen kranken Witwen besuchten, die ihrerseits keinen Zugang zum herrschaftlichen Salon der Wohltäterinnen hatten. Manchmal blieb ich zum Essen bei den Lozerechs. Dort löffelte ich bereitwillig eine Specksuppe, die ich zu Hause ungenießbar gefunden hätte; vorher hatte ich mit Yvonne im Kartoffelfeld gearbeitet, eine denkbar unattraktive Beschäftigung, der ich aber zu verdanken hatte, daß ich nicht nur als unfähige Städterin galt. Daß ich eine Kuh melken konnte, erfüllte mich mit weit größerem Stolz als die Tatsache, daß ich auf der unbeschrifteten Frankreichkarte, die in meinem Zimmer hing, alle Departements bestimmen konnte. Der Gedanke gefiel mir, daß ich in einem anderen Leben eine gute Bäuerin hätte abgeben können.
    Und zur Dreschzeit kam es dann auch soweit, daß Gauvain und ich uns zum erstenmal wie Menschen und nicht wie Vertreter von verfeindeten Kasten ansahen. An solchen Tagen kamen alle Nachbarn und »gingen zur Hand«, und jede Familie wartete, bis sie ein Maximum an Helfern zur Verfügung hatte, erst dann ging es los. Drei der LozerechSöhne, darunter Gauvain, waren gleichzeitig zu Hause, was selten vorkam. Also mußte man die Lage nutzen und den Termin für diese Schwerarbeit dementsprechend ansetzen. Frédérique und ich beteiligten uns jedes Jahr am Dreschen ‒ die Lozerechs waren unsere nächsten Nachbarn ‒, und stolz teilten wir die Arbeit, die allabendliche Erschöpfung und auch die Erregung, die das wichtigste Ereignis des Jahres begleitet, das Ereignis, das unwiderruflich über die Jahresbilanz des ganzen Hauses entscheidet. Der letzte Tag war drückend schwül gewesen. Hafer und Gerste waren schon eingebracht, und seit zwei Tagen war der Weizen an der Reihe. Die aufgeheizte Luft vibrierte, flirrender, dichter Staub brannte in den Augen und im Hals, und dazu kam das Rattern der Maschine. Die dunklen Röcke der Frauen waren grau geworden, grau wie die Haare und die Hauben, und den Männern rann der bräunliche Schweiß über Gesicht und Hals. Nur Gauvain arbeitete mit nacktem Oberkörper. Er stand oben auf einem Wagen, zerschnitt mit einem Sichelschlag das Strohband, das die Garbe zusammenhielt, spießte diese auf die Gabel und warf sie mit einer Bewegung, die mir majestätisch schien, auf das Förderband, auf dem sie rüttelnd hinunterglitt. Jugendlich schweißglänzend stand er in der Sonne, inmitten des blonden Weizens, der ihn umwirbelte; und ähnlich wie bei den beiden kräftigen Pferden, die regelmäßig neue Ladungen herbeibrachten, spielten seine Muskeln unaufhörlich unter der Haut. Noch nie hatte ich einen so männlichen Mann gesehen, außer in amerikanischen Filmen, und ich war stolz, an dieser Zeremonie teilzuhaben und mich ausnahmsweise mit seiner Welt solidarisch zu fühlen. Alles gefiel mir in diesen glühenden Tagen: der herbe Geruch der dampfenden Weizensäcke, Sinnbilder des Überflusses (Gauvains Vater wachte am Fuß der Dreschmaschine darüber, daß beim Auffüllen nicht ein einziges Korn seines Schatzes danebenfiel); gegen drei Uhr nachmittags das üppige »Vesperbrot« aus Speck, Fleischpastete, goldgelber Butter, die großzügig auf das dunkle Brot geschmiert wurde, so daß unser pariserischer Vieruhrtee geradezu kärglich erschien im Vergleich; sogar die wüsten Schimpfworte der Männer, jedesmal, wenn der Treibriemen heraussprang und man ihn wieder auf die Scheiben setzen mußte, während diejenigen, die es sich erlauben konnten, schnell ihre ausgetrocknete Kehle mit einem Schluck Cidre befeuchteten; und zu guter Letzt, wenn alle Säcke in der Scheune bereitstanden für den Müller, das »fest-noz«, für das ein Schwein geschlachtet worden war. An jenem Abend waren alle in einem Zustand der äußersten, fast rauschhaften Erschöpfung vereint, in der Zufriedenheit über die getane Arbeit, die eingebrachte Ernte, eingetaucht in jenes für die Bretagne Ende Juli so typische Dämmerlicht, das sich nicht
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