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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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Wellen treiben und wiegen; wir streiften uns lachend wie zwei glückliche Wale und konnten uns nicht entschließen, aus dem Wasser zu gehen, weil wir wußten, daß wir an Land, im Trockenen, gleichzeitig mit unseren Kleidern auch unsere Standesidentität und unsere Konventionen wieder anziehen würden. Es war eine jener unwirklichen Nächte, in denen ein gewisses phosphoreszierendes Plankton an die Oberfläche steigt, und bei jeder Bewegung, bei jedem Spritzer schien das Meer Funken zu sprühen. Allmählich überflutete uns eine Welle von Melancholie, die scheinbar in keinem Verhältnis stand zu dem Augenblick, den wir gerade erlebt hatten, als ob wir eine lange Zeit der Leidenschaft hinter uns hätten und ein so unaufhaltsames Ereignis wie ein Krieg im Begriff sei, uns zu trennen. Das Ereignis war in diesem Fall das Morgengrauen. Nach Osten hin wurde der Himmel schon heller und rückte das Festland allmählich wieder zu seinen wahren Proportionen zurecht.
    Gauvain hat mich vor meiner Haustür abgesetzt. In Mamans Zimmer brannte noch Licht. Sie wartete auf mich. Er sagte, und dabei hielt er sich in respektvoller Distanz: »Ja, dann auf Wiedersehen!«
    Er hatte zu seiner üblichen Stimme zurückgefunden. Mit einem leichten Zögern fügte er etwas leiser hinzu: »Vielleicht auf bald« ‒ und ich antwortete genauso platt, die Arme am Körper: »Danke fürs Nachhausebringen«, dabei konnte er gar nicht anders, da unsere Häuser ja unmittelbar nebeneinander lagen.
    Zwei Tage später ging er wieder an Bord seiner VaillantCouturier, und ich sollte ihn in diesem Sommer nicht mehr wiedersehen, denn wir fuhren Anfang September nach Paris zurück. Denkt man an die Seeleute im Winter, wenn man in seiner behaglichen Wohnung sitzt? Welche Brücke soll man denn auch zwischen dem Deck eines Trawlers und dem Descartes-Hörsaal schlagen, in dem Professor Pauphilet die wundersame Geschichte von Aucassin und Nicolette auseinandernehmen und uns die höfische Liebe entschlüsseln würde.
    Er ist auf seinen Hof zugegangen und schnell von der Dunkelheit aufgesogen worden. Ich habe die Haustür geöffnet und meine nassen Haare geschüttelt. Die Notwendigkeit, mich bei Maman zu melden, bevor ich in mein Zimmer gehen konnte, scheuerte mir jegliche Romantik vom Leib: Was ich gerade empfunden hatte, löste sich bereits auf, entfernte sich in Windeseile wie jene Träume, die trotz allen Bemühungen in wenigen Sekunden verblassen, während man erwacht, und einem nichts zwischen den Fingern zurücklassen. Aber bis zum Ende jenes Sommers ging ich, wie mir scheint, mit weniger sicherem Gang, und ein leichter Nebel legte sich über das Blau meines Blickes. So daß mir eines Abends, als die Stimmung zärtlicher war als sonst ‒ eine Stimmung, wie sie manchmal an Spätsommerabenden in der Bretagne entsteht ‒ ein Gedicht für Gauvain dem Herzen entstieg. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm diese Flaschenpost zuwerfen sollte. Vielleicht machten sie sich gerade jetzt unter Freunden lustig über die Schüchternheit der kleinen Pariserin. »Du weißt doch, die Leute, die im Strohhaus am Ende des Dorfes wohnen…« ‒ »Das Mädchen ist übrigens nicht häßlich…« ‒ »Och! Findest du?…«
    Die Angst vor der Lächerlichkeit hinderte mich daran, Gauvain dieses Gedicht zu schicken, das erste Liebesgedicht meines Lebens.
    Reinen Herzens haben wir uns beide Im Anblick des Meeres niedergesetzt. Du warst schüchtern wie ein großes Kind Das noch nie Gide gelesen hatte. Die Nacht war sanft wie die Nacht Ich aber kalt wie die erste Frau.
    Wir verharrten am Rande der Zeit Am Rand des Begehrens und der Frau in mir. Du, ein Mann, und ich, ein junges Mädchen: Steif und ruhig
Wie man es zuweilen mit zwanzig sein kann.
    Ich, die ich Gide gelesen habe,
Kehre oft zurück nach Raguenès Um deinen fliehenden Augen wiederzubegegnen, Um deinen wilden, bebenden Mund wiederzufinden. Heute bin ich sanft wie die erste Frau Doch die Nächte sind kalt wie die Nacht.
    Dabei würde ich dich heute abend küssen, Wunderbare Küsse, mit dem Salzgeschmack auf unserer Haut
Dich, der du über die Meere Irlands fährst In den heftigen Umarmungen der Wellen gefangen Weit weg von meinen zwanzig Jahren Und dem sanften Strand, an den du mich führtest Um nach dem Märchentier zu suchen Das sich nicht gezeigt hat.
    Und du?
Kommst du manchmal an diesen Ort Und trauerst dem Kuß nach, den wir uns nicht gegeben haben?
    Bald mußte das Haus für den Winter geschlossen werden, bald mußte
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