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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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ich fühl' mich wie immer. Du hast doch keinen Unterschied bemerkt, oder?«
Ein munteres, etwas anzügliches Funkeln tritt in seine Augen, und schon bin ich bei ihm, dränge mich an seine beruhigende, starke Gestalt. Ihn berühren, ihn festhalten… Aber das ist es ja, was ich nicht mehr werde tun können. Ein kranker Lozerech wird noch viel weniger mir gehören als der Seemann Gauvain. Ich beginne an seiner geliebten Brust zu schluchzen. »Ich werde es noch bereuen, Karedig, daß ich mit dir darüber gesprochen habe. Am Anfang wollte ich dir sowieso nichts sagen. Ich hätte dir nach der Untersuchung geschrieben, falls sie beschlossen hätten zu operieren. Die nennen das eine Bypass-Operation. Du wirst aufgemacht, sie wechseln dir einen Schlauch aus, und hinterher bist du wie neu!«
»Und du hättest es gewagt, mir nichts zu sagen! Stell dir das vor: Du im Krankenhaus, und ich hätte nichts gewußt! Das hätte ich dir nie verziehen…«
»Das ist es ja, ich hab' es doch richtiger gefunden, daß du es weißt. Schließlich bist du ja ein wenig meine Frau. Aber mach dir keine allzu großen Sorgen… Bei den früheren Untersuchungen hat mir der Arzt vom Seeamt nichts gesagt. Das wär' nicht das erstemal, daß die sich täuschen, diese Idioten. Und ich hab' ja auch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ich bin ein ganz schönes Kaliber…«
Das ist einer unserer rituellen Späße ‒ das war einer unserer rituellen Späße, jedesmal wenn er sich am ersten Tag mühsam einen Weg in mir bahnte. »Stell dir vor, die wollten mich nicht einmal ein Flugzeug besteigen lassen! ›Fahren Sie wenigstens mit dem Zug‹, sagte der Dr. Morvan immer wieder. ›Gern‹, hab' ich gesagt, ›aber das wird schwierig, weil ich nämlich nach Amerika fahre!‹«
»Und wenn du ihm erzählt hättest, was du dort vorhattest, dann hätte er dich für wahnsinnig erklärt und mich für kriminell.«
»Mein Leben ist für mich nicht so wichtig. Wichtig bist du in meinem Leben. Das weißt du. Ohne dich ist es mir scheißegal, was passieren kann.«
Er drückt mich sehr heftig an sich, als wollte er mich vor der Wahrheit schützen.
»›Auf, auf, mein freier Aufstehmann, du stolzer Concarnois…‹ Erinnerst du dich?«
Ich nicke. Ich kann nicht reden. Ich schluchze wie ein Säugling, das war schon immer so. »Es geht mir schon nah, daß du wegen mir weinst. Du!« sagt er und wiegt mich in seinen Armen. »George Ohne-es! Mein kleines Mädchen!«
So nennt er mich zum erstenmal. Meine Tränen fließen heftiger. »Glaubst du denn… immer noch nicht, daß ich dich liebe?«
»Doch, natürlich… Aber gleichzeitig kommt es… ist es mir nie selbstverständlich vorgekommen. Ich habe immer Angst gehabt, daß du eines schönen Morgens feststellst, daß ich kein Typ für dich bin.«
»Du bist wirklich behämmert. Glaubst du, ich liebe dreißig Jahre lang einen ›Nicht-für-mich-Typen‹?«
Wir lachen, oder wir tun so als ob. Die Nachricht ätzt sich allmählich unter die Haut, das Unglück macht sich sehr schnell breit, und ich denke schon an all das, was es umkrempeln wird. Wie werde ich erfahren, ob es ihm gutgeht? Wie wird er mich wissen lassen, wenn er mich braucht? Alles Prekäre unserer Beziehung wird uns bewußt. Das Nein, das ich ihm eines Tages gesagt habe, trennt uns erst heute endgültig. Man redet sich ein, daß man das Wesentliche gerettet hat. Aber dann kommt der grausame Tag, an dem der, den man am meisten liebt, in Not gerät und einen nicht mehr rufen kann. Fortan bin ich weniger als der letzte seiner Freunde, und diese Machtlosigkeit drückt mich nieder. Das ist die letzte Rache der rechtmäßigen Gattinnen. »Ich werde es irgendwie einrichten und dich auf dem laufenden halten, ich verspreche es dir«, sagt Gauvain. »Du mußt mir vertrauen. Ich kann dir sagen, ich habe keine Lust, ins Gras zu beißen. Überhaupt keine.«

XII DIE FLÜGEL DES KORMORANS
    Am darauffolgenden 3. November wurde Lozerech ins Krankenhaus von Rennes gebracht, weil er sich einer BypassOperation zu unterziehen hatte. Am 5. November meldete der Chirurg, daß die Operation geglückt sei und der Patient sich in einem durchaus zufriedenstellenden Zustand befinde. Am 7. November nachts starb Gauvain auf der Intensivstation, ohne noch einmal zu sich gekommen zu sein.
    »Mein Sohn ist verschieden«, sagte mir seine Mutter am Telephon, und ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, daß »verscheiden« sterben heißt. Das makabre Vokabular des Todes, das lediglich ein paar
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