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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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Tisch, die ich immer häufiger einsetze aus Gründen, die Gauvain nicht einmal ahnt, nicht vor der Liebe im rötlichen Schein der Flammen und auf dem großen Rentierfell. Aber ja doch, ich leiste mir all das, was man in meinem Alter nicht mehr wagt, all das, was ich in meinem blasierten Milieu nie gewagt hätte zu tun. Im Department of Women Studies der Universität muß ich noch einen Vortrag halten zum Thema: »Der adäquate Platz der Frauen in der Geschichte und in der Kunst«. Ich habe alles mögliche versucht, um Gauvain davon abzubringen, den Hörsaal aufzusuchen, denn seine Gegenwart wird mich lähmen. Aber umsonst. Ich habe ihm zwar verboten, sich in eine der ersten Reihen zu setzen, aber ich entdecke ihn bald in der Menge, die Ellbogen auf den Knien, um besser zu hören. Er sieht aus wie der Primus einer bretonischen Schulklasse. Nichts von der lässigen Haltung der Professoren oder von der affektierten Nachlässigkeit der Studentinnen, die achtzig Prozent meiner Zuhörerschaft ausmachen.
Unwillkürlich bin ich vorsichtig mit meinem Vokabular: ihn beeindrucken, aber nicht allzusehr! Ein gewisses Bild der Ungerechtigkeit, die den Frauen widerfährt, soll bis zu den brachliegenden Hirnzonen vordringen, wo seine allgemeinen Vorstellungen schlummern, es soll ihn aber nicht in Alarmbereitschaft versetzen, was den Krieg der Geschlechter betrifft. Die Einwände, die er mir entgegenhalten könnte, erregen im voraus meinen Widerwillen. Mit bestem Gewissen befindet er sich im Stadium des Neandertalers, was die diesbezügliche Argumentation betrifft. »Nie hat es Frauen gegeben unter den großen Malern, den großen Musikern oder den Wissenschaftlern. Das hat doch etwas zu bedeuten, oder?«
Und die Neandertaler schauen einen an, als ob sie einem gerade mit ihrer Keule einen Schlag versetzt hätten. Den Mut, es mit einem solchen Abgrund an Torheit aufzunehmen, habe ich nicht, also halte ich Gauvain lieber fern von diesen Problemen. Alles, was ich hoffen kann, ist, ein wenig Verunsicherung in seiner Seele zu stiften, ein ganz klein wenig.
Nachher ist er freudig aufgeregt, nicht so sehr wegen der Ideen, die sehr schnell an ihm vorbeigehuscht sind, geknüpft an geheimnisvolle Namen und unbekannte Begriffe, sondern weil Applaus wiederholt meinen Vortrag unterbrochen hat, wegen der erkennbaren Zustimmung des Publikums zu meinen Argumenten, und auch wegen des beifälligen Lachens. Mit einem Wort, wegen meines Erfolgs. Nur derjenige liebt einen wirklich, vor dem man die eigene Überlegenheit zeigen kann, ohne seinen Stolz zu verletzen oder seinen Groll hervorzurufen.
Kaum haben wir das kärgliche, an den Universitäten übliche Büffet absolviert, reißen wir aus ‒ wir haben alle Einladungen abgelehnt ‒, um unter vier Augen zu Abend zu essen, denn heute habe ich beschlossen, Gauvain in eines der bekanntesten Restaurants von Montreal einzuladen.
Wenn man sich liebt, erscheint einem alles wie ein Augenzwinkern des Schicksals: Wir werden im Restaurant mit einem Chanson von Félix Leclerc empfangen, einem sehr alten Chanson, das Gauvain früher manchmal sang. Beide haben sie jene tiefe kupferne Stimme, die jeden Text ergreifend macht. »Ich werde wieder einmal deinem Charme erliegen, wie damals bei der Hochzeit deiner Schwester, erinnerst du dich?«
Gauvain lächelt zufrieden. Seine Stimme ist seine einzige Eitelkeit, und es macht ihm Spaß, ihre Wirkung zu erproben. Um uns herum ist die Luft schwer von köstlichen Düften, es vermischen sich Hummersud, Estragon, Pfifferling, ein Hauch Knoblauch, der Dunst von flambiertem Cognac, und das Ganze ergibt den spezifischen Geruch der sehr guten Restaurants. Jener Restaurants, von denen man an einsamen Winterabenden, in seiner Küche vor kalt gewordenen Nudeln sitzend, träumt: Wie schön, wenn man jetzt dort irgendwelche Köstlichkeiten genießen könnte, in Anwesenheit eines sehr geliebten Menschen, mit dem man aller Wahrscheinlichkeit nach anschließend schlafen wird, einen leichten Himbeergeschmack auf den Lippen… Während wir die Karte durchgehen, sie bereits mit den Augen verschlingen, muß ich plötzlich an Marie-Josée denken, an die Ungerechtigkeit, die unter anderem darin besteht, daß sie noch nie unter den unbeschreiblichen Blicken eines verliebten Mannes ein Kaviarbrötchen mit einem vollmundigen Glas Aquavit gekostet hat. An Marie-Josée, die für niemand jemals eine Sexbombe war. An diesen Mann, der ihr Mann ist, der aber nur für mich erglüht, für mich, die ihn
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