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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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sind!«
Ganz instinktiv nehme ich mich in acht vor seinen Reaktionen, aber ich habe sie noch unterschätzt. Als ich ihm den banalen Zwischenfall erzähle, wird er krebsrot vor Zorn. Zum Glück ist der »Dreckskerl« verschwunden, sonst »hätte der was erlebt«… »Das hätte er nicht noch mal gemacht… Dieser alte Wichser… Kol bouet…«
Sämtliche Schimpfwörter, auch die bretonischen, finden ihre Anwendung.
Er kann es nicht fassen, daß ich ihn nicht auf der Stelle um seinen Schutz angefleht habe, und ebensowenig kann ich es fassen, daß er sich als der Besitzer meiner Ehre fühlt. Es gelingt mir nicht, ihm klarzumachen, daß man nicht ihn beleidigt, indem man mich betatscht, und daß eine an ihn gerichtete Klage bedeutet hätte, daß ich meinen Status als Objekt zwischen zwei rivalisierenden Typen anerkannt hätte. Er hört mir zwar zu, aber der Zorn umwölkt seine Augen und hindert ihn daran, einer logischen Argumentation zu folgen. Ich fühle mich wie eine Stute in einem Western, die ein Pferdedieb mit dem Lasso einzufangen versucht hat. Mein armer Cowboy hingegen ist überzeugt, mir einen Beweis seiner Liebe geliefert zu haben, und so betrachten wir uns von den beiden Seiten eines Abgrunds aus.
Schließlich baue ich ihm einen Steg, indem ich Rührung über seine Eifersucht heuchle. Aber ein so grundlegendes Unverständnis berührt uns beide sehr schmerzlich. Er geht gedemütigt, ich niedergeschlagen nach Hause. Diese Zeit, die es braucht, diese Männer, die es braucht, bis man endlich weiß, was einem tiefinnerlich zusagt! Und dann entdeckt man, daß das, was einem behagt, nicht das ist, was erträglich ist im Leben. Tatsächlich habe ich in Montreal die Gelegenheit, Lozerech zu entdecken, wie er leibt und lebt. Ein Mann, der den Laib Bauernbrot auf die Brust legt, um Scheiben abzuschneiden; der jeden Morgen, wenn ich ihm aus den Nachrichten zitiere, wiederholt: »Ich verstehe nicht, daß du dich auf die Zeitungen stürzt« und dann noch hinzufügt, weil er es für komisch hält: »In zwei Tagen sind sie alt, deine neuesten Nachrichten!«
Jeden zweiten Tag verkündet er mir, damit ich es nicht vergesse: »Die Erde wird ohne uns auch nicht stehenbleiben.«
Ein Mann, der für die Todesstrafe und gegen »Drei-SterneGefängnisse« ist (»Die sollten sich mal besser um die Alten kümmern!«). Der glaubt, Musik sei das Sammelsurium an Volksliedern, die im Chor gegrölt werden in einem Weinkeller von Montreal, der mit einer Futterkrippe voller Heu an der Wand dekoriert ist. Ein Mann, der sich wundert, daß ich Chansons der dreißiger und der vierziger Jahre kenne, die wir aus der Kiste mit den alten Schellackplatten meiner Freundin herauskramen. Mein armer Freund! Daß ich Aristoteles gelesen habe, heißt nicht, daß ich nicht weiß, wer Rina Ketty ist. Ein Mann schließlich, dem ich Fragen über Südafrika, die Diamantminen oder die Apartheid stelle, und dem nichts Besonderes aufgefallen ist, der mir nichts zu antworten weiß ‒ die Seeleute bringen diese unglaubliche Leistung zustande, ihr ganzes Leben lang zu reisen, ohne je die Länder zu kennen, wo sie von Bord gehen. Sie sehen nur Häfen, und die sind alle gleich von Singapur bis Bilbao. Es gelingt mir nicht immer, meine Verärgerung über seine klaffenden Bildungslücken oder meine abweichende Meinung zu seinen politischen Theorien zu verbergen. Er weigert sich dann zu diskutieren, verschließt sich, und seine Augen werden fast schwarz. In solchen Augenblicken wundere ich mich, daß er mich überhaupt noch liebt. Nur ein guter oder ein böser Zauber hält ihn gefangen. Allerdings muß ich gestehen, daß ich zeitweise tückisch daran arbeite, daß dieser Zauber auch anhält. Im Grunde wäre dein Ideal »Vögle und schweig«! erklärt die Anstandsdame zusammenfassend. Diesmal hat sie offenbar beschlossen, mir die Lust zu vermiesen. ‒ Halt die Klappe, ja? ‒ Nur die Wahrheit trifft einen, wirklich, mein Mädchen. Aber Hauptsache, du wirst anständig besprungen…
Dieser alten Hexe werde ich das Maul stopfen, verprügeln werde ich sie, sie zertrampeln… Denn merkwürdigerweise dulde ich es nicht, »besprungen« zu werden. Alles mögliche kann man mit mir machen, mich besteigen, mir die Schatulle aufschließen, das Ofenrohr ausraspeln, den Lauf putzen, sogar aufs Kreuz kann man mich legen, aber nicht mich bespringen. Es gibt solche Ausdrücke, und es sind nicht unbedingt die schlimmsten und nicht die entwürdigendsten, bei denen man einfach nur
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