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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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für das wirkliche Leben nicht gewollt hat. Hat Marie-Josée sich jemals, seit sie verheiratet sind, die Zeit genommen, sich daran zu erinnern, daß er schön ist? Oder hat sie sich damit abgefunden, sich in die demütige Herde der ehelichen Dienerinnen einzureihen, jener Frauen, die einem Mann die Füße massieren, die ihn zu anderen Frauen tragen werden; die ihm Spezialshampoos in die Kopfhaut einreihen, auf daß er seine Prachtlocken auf fremden Kopfkissen schüttle; die ihm pfundschwere Steaks braten, damit er daraus die Energie schöpft, seine Geliebte fünfmal nacheinander zu beglücken… Hat er je fünfmal in einer Nacht mit ihr geschlafen? Nun, was weiß ich schon darüber! Die ehelichen Alkoven verbergen mehr Geheimnisse, als unsere Eifersucht sie sich ausmalen kann. Diese Art von Fragen stelle ich. Lozerech nicht. Marie-Josée wird nur erwähnt, wenn Unumgängliches ansteht, und er fände es geschmacklos, mir anzuvertrauen, was sie für ihn noch bedeutet. Wenn wir zusammen sind, vergessen wir lieber unser normales Leben und werden zwei Personen, die nur wenig mit den Menschen zu tun haben, die wir für unsere nächste Umgebung sind.
Zum Beispiel würde es mich stören, wenn François meine Freunde aus Quebec kennenlernen würde, die mich wiederum nur als die in Gauvain Verliebte kennen, als die, die auf der Straße mit ihm Händchen hält, die immer wieder laut auflacht, obwohl er nicht geistreich ist, die einfach nur lacht, weil sie lebt und spielt, eine andere zu sein. Sogar mein Schlaf ist ein anderer, wenn ich neben ihm liege.
Bei fortschreitendem Alter neigt man dazu, seine ehemaligen Ichs unter der Persönlichkeit, die man für die echte hält, zu ersticken. Aber in Wirklichkeit sind sie alle da und warten nur auf eine ermunternde Geste, um ans Tageslicht zurückzukommen in all ihrer arroganten Lebendigkeit.
In Montreal führen wir ein fast eheliches Leben, denn hier kann ich Gauvain endlich meinen Freunden vorstellen. In dieser franko-kanadischen Gesellschaft, wo die Leute so sind wie er, noch sehr erdverbunden, und eine Sprache sprechen, die er instinktiv versteht, auch wenn sie statt dem »heiligen Bimbam« lieber unverfälscht den »heiligen Kelch« oder den »Tabernakel« beschwören, in dieser Gesellschaft, findet er ganz automatisch seinen Platz. Daß alle Leute hier einen noch stärkeren Akzent haben als er, läßt ihn unbefangen auftreten. Wir sind nicht mehr nur zwei Liebende, die sich verstecken, sondern ein Paar wie alle andern auch, das ins Theater oder ins Konzert geht und Freunde zum Essen einlädt. Er hat sich so sehr in die Rolle des Ehemannes versetzt, daß er sich eines Abends im Kino, wo wir zum erstenmal in unserem Leben gemeinsam hingehen, prompt als mein Besitzer aufspielt! Banale Geschichte. Kaum wird es dunkel, vergreift sich mein rechter Nachbar, der von einer graumelierten Ehefrau begleitet wird, an meiner Hüfte, dann an meinem Schenkel, und seine Hand wird immer zielsicherer. Man braucht stets eine Weile, bis man es glauben kann, daß es sich tatsächlich um ein unanständiges Betatschen handelt, aber eine nachdrückliche Geste nimmt mir bald den letzten Zweifel. Ich schlage sehr bestimmt mein rechtes Bein über das linke.
Fünf Minuten später ‒ so lange dauert das Anschleichen, das nicht die Aufmerksamkeit der Gattin wecken darf ‒ ist die Männerhand wieder zur Stelle. Ich zwänge meine Glieder auf dem letzten vorhandenen Raum zusammen, und dabei träume ich wie immer davon, ihm eines jener ätzend-unvergeßlichen Schimpfworte zuzuzischen, die mir in solchen Situationen nie rechtzeitig eingefallen sind. Ich rede mir ein, daß mein Schweigen nur deshalb so beharrlich ist, weil ich die blinde Ehefrau an seiner Seite schonen will, und erst als ich mich zu einer Flunder platt geschrumpft fühle, finde ich den Mut zu reagieren. Ich packe meine Handtasche, die am Boden steht, und knalle sie mit Wucht zwischen unsere beiden Sitze, auf seinen Arm, den er holterdipolter zurückzieht. Und damit ist Ruhe. Auch Gauvain hat nichts gemerkt, sein Blick weicht nicht von der Leinwand, wie überall ist er auch im Kino eifrig dabei. Sobald die Lichter im Saal wieder angehen, steht der Mann, der mir den Woody-Allen-Film vermiest hat, hastig auf und schiebt seine Frau zum Ausgang. Ich mustere ihn heimlich: ein Nichts! Farb- und alterslos, nicht einmal ein schweinisches Aussehen. Gauvain flüstere ich zu: »Schau dir den Typ an vor uns, ich erzähl' dir was über den, sobald wir draußen
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