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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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spielte keine Rolle, da er mich ja zwischen allen Tänzen fest im Griff behielt, bis die Musik wieder einsetzte. Er roch noch nach Sonne und Weizen, und ich hatte den Eindruck, daß er mich wie eine seiner Garben behandelte, mit dem finsteren, konzentrierten Gesichtsausdruck, den er bei der Arbeit hatte.
    Welche Worte hätten im übrigen die Empfindung auszudrücken vermocht, die uns überflutete und die offensichtlich vollkommen unpassend und absurd war? Das Gefühl, daß sich unsere Körper erkannten und unsere Seelen ‒ denn unsere Hirne waren es nicht ‒ danach strebten, sich zu vereinen, ohne Rücksicht auf all das, was uns auf dieser Welt trennen konnte. Natürlich dachte ich an Platon. Damals kamen meine Ansichten und meine Empfindungen nur in Anlehnung an die Dichter und Philosophen zum Ausdruck. Gauvain ließ sich, ohne eine vergleichbare Bürgschaft, von dem gleichen Zauber überwältigen, das spürte ich. Solche Eindrücke entstehen niemals einseitig. Einen Walzer und zwei Paso doble lang hielten wir stand. »Poema-Tango« riß uns gemeinsam hinweg. Die Konturen der Wirklichkeit verwischten sich. Wie auf einem anderen Planeten hörte ich die Freunde um uns herum, die mit plumpen Witzeleien ihre wachsende Lust zu verbergen suchten, die vom Alkohol und ein paar angedeuteten Annäherungsversuchen nachgiebig gestimmten Mädchen zu vögeln. Ohne uns abzusprechen, die jäh eintretende Dunkelheit nutzend, waren Gauvain und ich plötzlich draußen. Mit dem unbekümmerten Egoismus der Glücklichen beschlossen wir, daß Yvonne und ihr Bruder leicht Freunde finden würden, um sich ins Dorf zurückbringen zu lassen, verließen feige die heitere Gesellschaft und flüchteten in dem kleinen Renault.
    Selbstverständlich fuhr Gauvain in Richtung Küste. In solchen Fällen strebt man instinktiv zum Meer. Wir wußten, daß es uns die Sprache ersetzen würde und daß es uns in seine mütterliche Größe, in sein wohlwollendes Schweigen hüllen würde. Immer wieder, wenn der Weg zu Ende war, haben wir für einige Zeit angehalten: in Cabellou, in La Jument, in Trévignon, in Kersidan und am Strand von Raguenès. Jedesmal machten wir kehrt, denn eine Küstenstraße gab es damals noch nicht, nur Sackgassen, und das entsprach dem Bild unseres Lebens an jenem Abend. Je weniger wir sprachen, desto weniger gelang es uns, das Schweigen zu brechen, das unsere Herzen erfüllte. Gauvain begnügte sich damit, seinen Arm zärtlich um meine Schultern zu legen und mich zitternd an sich zu pressen. Dabei berührte er zuweilen mit seiner Schläfe meine Wange. In Raguenès war Ebbe. Die Sandzunge, die nur bei großer Tide Küste und Insel verbindet, glänzte im Mondlicht. Links, auf der gegen den ständigen Wind geschützten Ostseite, konnte man den Übergang zwischen Wasser und Strand kaum erkennen: Das Meer war spiegelglatt. Auf der Westseite fältelte eine ganz leichte Brise das große Silberlaken, das mit einer phosphoreszierenden Kräuselbordüre abschloß. Es war alles so rein, uns so ähnlich, daß wir hinunterstiegen, um in diesem stillen Wasser ein wenig zu gehen. »Was hältst du von einem Mitternachtsbad?«
    Der Gedanke war mir plötzlich gekommen. Es war das erstemal, daß wir uns gemeinsam an einem Strand befanden. In jener Zeit gingen die Bretonen kaum je ans Ufer. Baden kam ihnen wie eine Touristenspinnerei vor. Das Meer war keine Vergnügungsstätte; zu oft und seit Jahrhunderten hatten die Seeleute sich hier ihr »Loch im Wasser gegraben«. Ohne uns anzusehen, in respektvollem Abstand, legten wir unsere Kleider ab. Noch nie hatte ich mich vor einem Jungen nackt ausgezogen, aber es tat mir leid, daß Gauvain nicht wenigstens einen Blick nach mir warf. Ich wähnte mich schön im Mondschein und weniger nackt als in einem Zimmer im harten Licht einer Glühbirne. Sowohl um meine Vorderseite zu verbergen, als auch um zu verhindern, daß ich seine Vorderseite sehen mußte, stürzte ich mich als erste ins Meer, und zwar auf der Ostseite, aus Freude daran, diesen allzu glatten Spiegel aufzubrechen. Aber weit schwamm ich nicht hinaus. Sehr schnell ahnte ich, daß Gauvain nicht schwimmen konnte. »Wozu auch? Wenn man nachts von einer Sturzwelle weggerissen wird, muß man nur noch länger leiden im eisigen Wasser«, sagte er. Ich erkannte, daß wir nicht das gleiche Verhältnis zum Meer hatten. Gauvain und ich verkehrten nicht mit ein und derselben Person, aber er kannte die echte. Lange ließen wir uns von den empfindlich kühlen
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