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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoite Groult
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ich den Sommer meiner achtzehn Jahre verlassen. Mein Gedicht habe ich in einem Herbarium zurückgelassen: In einer Schublade landete es mit jenen Ferienüberbleibseln, denen die Zeit bald die Farbe nimmt, einem rosaroten, leeren Seeigel, einer bronzefarbenen Haarspange auf ihrem vergilbten Karton, einem einsamen Söckchen, dessen Pendant wiederzufinden ich nicht aufgegeben, und einer Ähre, die ich im Hof der Lozerechs am Abend des Dreschens aufgelesen hatte.
    Auch im folgenden Sommer habe ich das Gedicht nicht weggeworfen. Ich habe immer gehofft, es würde eines Tages seinem Adressaten zukommen und in ihm den unvergeßlichen Geschmack des ersten Begehrens wachrufen.

II YVONNES HOCHZEIT
    Erst zwei Jahre später habe ich Gauvain wiedergesehen. Beruflich hatte er sich endgültig für das Meer entschieden. Mittlerweile war er Bootsmann geworden, und in Raguenès verbrachte er alle vierzehn Tage knappe achtundvierzig Stunden. Im Herbst wollte er die Schiffahrtsschule in Concarneau besuchen, um Fischereikapitän zu werden.
    Sein Leben lief in der üblichen Bahn: Er hatte sich gerade verlobt, »denn man kann ja nicht ewig bei seinen Eltern bleiben«, wie er zu mir sagte, als suchte er nach einer Entschuldigung. Marie-Josée, seine Zukünftige, arbeitete in der Fabrik, ebenfalls in Concarneau. Sie hatten es nicht eilig. Zuerst wollten sie in Larmor ein Haus bauen, auf einem von der Lozerech-Großmutter geerbten Grundstück, und dafür hatten sie sich, noch bevor sie den ersten Stein zu sehen bekamen, auf zwanzig Jahre verschuldet.
    Anstatt uns zu beschimpfen oder uns gegenseitig zu übersehen, gingen wir uns fortan aus dem Weg, zumindest ging Gauvain mir aus dem Weg. Mir mißfiel es eigentlich nicht, wenn dieser Prachtkerl zu Boden blickte, sobald ich ihm im Dorf begegnete. In den Läden der Ortschaft hingegen begann er, sobald ich hereinkam, mit den anderen Kunden bretonisch zu sprechen, um mir ganz deutlich zu machen, daß ich nicht von seiner »Art« war.
    Bei Yvonnes Hochzeit dann konnte er nicht umhin, mir zum zweitenmal ins Gesicht zu schauen. Sie wollte unbedingt mich als Trauzeugin haben, und Gauvain hatte versprochen, Trauzeuge des Zukünftigen zu sein, der ebenfalls zur See fuhr, aber ‒ so Yvonnes Grundbedingung ‒ die Marinelaufbahn eingeschlagen hatte.
    Yvonne heiratete in der Tat nur, um dem Dasein einer Bäuerin zu entrinnen: Sie haßte den Ackerboden, die Tiere, die man versorgen mußte, die im Winter stets aufgerissenen Hände, die auch am Sonntag kotverdreckten Holzschuhe, kurz, sie verabscheute das Leben, das sie auf dem Hof führte. Aber sie wollte keinen Küstenfischer wie ihren Bruder Robert, keinen Mann, der jeden Abend nach Hause kam, der einen um vier Uhr früh weckte, wenn er rausfuhr aufs Meer, und dessen Hände stets nach Fischköder rochen. Auch einen Hochseefischer wie ihre beiden anderen Brüder wollte sie nicht. Nein, was sie brauchte, das war ein Mann, der nie mit Fisch in Berührung kam, der eine schöne Uniform trug und der vor allem monatelang auf See sein würde, Monate, die für die Pension doppelt zählten, denn daran dachte sie auch schon. Ein Mann, der ihr auch die Gelegenheit bot, ein, zwei Jahre in Dschibuti, auf Martinique oder, mit ein wenig Glück, sogar auf Tahiti zu verbringen. Und in der übrigen Zeit hat man ein schönes neues Haus und seine Ruhe. Yvonne, die in ihrer Kindheit keine Zeit gehabt hatte zu spielen und die sich außer zum Essen kaum je hingesetzt hatte ‒ wobei sie und ihre Mutter unentwegt aufstehen mußten, um die sieben Jungen, plus den Vater, plus den geistig leicht Behinderten, der bei ihnen als Knecht arbeitete, zu bedienen ‒, strebte nach einer einzigen Form des Glücks: Sie wollte »ihre Ruhe haben«! Jedesmal, wenn ihr dieser Ausdruck über die Lippen kam, war er von einem ekstatischen Lächeln begleitet. Seine Ruhe haben, das bedeutete, nicht mehr den eigenen Namen schreien hören: »Verdammt noch mal, Yvonne! Bringst du ihn nun, oder bringst du ihn nicht, den Cidre?! Wir können es uns nicht leisten, herumzuwarten!… Los, Yvonne! Husch, husch, zur Waschküche, dein Bruder braucht sein Zeug morgen… Aufwachen, Yvonne, oder glaubst du, die Kuh melkt sich von selbst…?«
    Die Ehe erschien ihr wie eine Einöde der Glückseligkeit. Der erste junge Mann, der ihre Bedingungen erfüllte, war der Richtige. Und die Tatsache, daß er ein mickriges Kerlchen war, das sich nach der für das Militär erforderlichen Mindestgröße recken mußte ‒ er hatte
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