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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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waffenlos, wenn
    sie ihn auch schier aufrieben.
    Endlich kam der Tag, da man den Verband
    löste. Franz wurde aus dem Spital entlassen
    und kehrte in das Haus zum ‚Sack‘ zurück.
    Heinz führte ihn mit mächtiger innerer Freude,
    mit dem Gefühl, nun sei die schwere Schuld
    von ihm genommen, in der Mutter Stübchen
    hinein und hätte dabei kein Wort über die Lip-
    pen gebracht. Signor Ercole, der eben zugegen
    war, setzte sich auf einen Stuhl, nahm Franz
    zwischen die Knie und begann, den nun vom
    Gips befreiten Arm zu mustern, daran sorgfäl-
    tig zu ziehen und zu stoßen, zu drücken und
    zu drehen, und sein Gesicht wurde immer ern-
    ster. Er verließ das Haus, um bald darauf mit
    einem Arzt zurückzukehren, der sich ebenfalls
    über das fleischlose, in abgestorbener, gelber
    Haut steckende Glied hermachte. Als er zu
    Ende war, ließ er sich von Signor Ercole in sein
    Stübchen führen, wo sich zwischen den beiden
    ein lebhaftes Gespräch entspann, das dumpf
    und geheimnisvoll durch die Fugen der Türe in
    die Wohnstube drang, wo die Mutter und die
    Knaben in ängstlicher Erwartung saßen. Heinz
    fühlte, daß die Schuld immer noch auf ihm lag
    und in diesen langen Augenblicken anschwoll.
    Am Abend desselben Tages stellte sich Si-
    gnor Ercole im Reiseanzuge vor seine Braut
    und sagte kurz: „Leb’ wohl, ich muß nun fort.“
    Sie verstand ihn nicht. Er wiederholte mit
    vorgestreckter Hand: „Leb’ wohl und vergiß!“
    „Was soll das heißen?“ stammelte sie.
    „Sei vernünftig! Meine Truppe muß essen
    und leben, sie braucht mich, ich kann nicht
    ewig hier bleiben.“
    „Und die Buben?“
    Er zuckte mit den Achseln und sagte halb-
    laut: „Es ist schwer, aber ich kann nicht helfen.“
    „Du willst sie abschütteln?“
    „Ich kann sie nicht mehr brauchen, des Klei-
    nen Hand taugt nichts mehr. Und mit dem
    Großen allein … Es tut mir leid, aufrichtig leid!
    Wen trifft es am meisten? Mich! Gottlob bin
    ich nicht schuld daran!“
    Dies sagend schleuderte er nach Heinz ei-
    nen Blick, der diesem wie ein Messer durch die
    Brust fuhr. Die Mutter aber sank halb betäubt
    unter dem Schlage auf einem Stuhle zusam-
    men und klammerte sich an die Lehne an.
    Dem Herrn Direktor wurde die Lage pein-
    lich, er streckte wieder seine knochige Rechte
    der armen Frau entgegen und sagte in einem
    Ton, der Teilnahme ausdrücken sollte: „Liebe
    Seline, es muß sein, du mußt dich fassen und
    drein schicken; adieu!“
    „Und du und ich?“ stotterte sie.
    Er wiegte sich ein paarmal in den Hüften
    und sagte dann langsam: „Mir ist es aufrichtig
    leid, aber was sollen wir zusammen, wenn die
    Buben nicht mehr zu gebrauchen sind? Was
    sollte ich mit den beiden anfangen? Und was
    hätte ihre Mutter mit meiner Truppe zu schaf-
    fen? Du passest für mein Leben nicht mehr, gute
    Seline! Das mußt du doch selber einsehen!“
    Nun erst begriff sie ganz, sie schnellte em-
    por und rief: „Geht man so mit mir um, und ist
    das unser Lohn?“
    Er lächelte ihr mit beiden Händen zu, um
    sie zu beschwichtigen, und meinte trocken und
    entschlossen: „Das Leben ist hart und macht
    hart. Man muß fassen, was einem dient, und
    lassen, was einen hemmt, so viel habe ich nun
    gelernt!“
    „Du bist ein Schuft!“ fauchte sie ihn an,
    indem sie ihre Finger wie Krallen gegen ihn
    krümmte.
    Er wich zurück, die Hände zur Abwehr be-
    reit, und stieß hervor: „Wüte gegen den, der an
    allem schuld ist!“
    Sie stürzte wie rasend auf ihn ein, prallte
    aber an seiner Faust so heftig zurück, daß sie
    schwer gegen den Tisch taumelte und beinahe
    fiel. Die Knaben brachen in lautes Geschrei
    aus und umklammerten die halb ohnmächtige
    Mutter.
    Signor Ercole benutzte die Gelegenheit, um
    zu verschwinden.
    In der Dachwohnung des Hauses zum
    ‚Sack‘ war es an jenem Abend so drückend,
    als hätte der Tod Einkehr gehalten. Die Mut-
    ter saß wie gelähmt auf ihrem Stuhle, sann
    und sann und ließ dann und wann, ohne es
    zu merken, eine Träne auf die Schürze fallen.
    Sie war also eine im Stich Gelassene, mit Ver-
    achtung und Schmach Bedeckte. Warum? Was
    hatte sie denn getan? Hatte sie ihn begehrt,
    sich ihm an den Hals geworfen? Hatte sie sich
    nicht lange genug gesträubt? Was für ein ge-
    wissenloser Bube mußte er sein! Er schien
    sie nicht mehr zu achten als einen Hund! Ihr
    graute nun vor ihm. Wie ruchlos und selbst-
    süchtig muß der sein, der Menschen achtet wie
    Hunde! Der ihnen den Tritt gibt, sobald es ihm
    in den Kram
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