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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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lesen war.
    „Und das willst du nun alles in den Graben
    werfen? Man soll dir nicht mehr klatschen,
    nicht mehr ‚Bravo‘ rufen, keine Blumen mehr
    zuwerfen?“
    „Das gilt ja nicht mir!“
    „Was faselst du da?“
    „Ich weiß es gut genug, das gilt alles ihm!“
    Die Tränen traten ihm in die Augen.
    „Aha,“ dachte Signor Ercole, „steckt der Dorn
    da im Fleisch?“ Und er machte sich daran, dem
    Jungen Kummer, Eifersucht, Mutlosigkeit und
    was sonst in ihm wühlen und bohren mochte,
    aus dem Sinn zu reden: „Sind denn nicht die
    Zeitungen voll von deinem Lob? Hat so ein
    Schreiber je dich vergessen, wenn er Franz er-
    wähnte? Wenn zwei miteinander auftreten und
    zusammenspielen, so sind sie wie verwachsen,
    und einer gilt, was der andere. Im Theater seid
    ihr nicht der Heinz und der Franz, sondern
    die fratelli Zobelli, und wenn einer seine Sa-
    che schlecht macht, so taugt auch des andern
    Kunst nichts. Was wäre Franz ohne dich, und
    was könnte er dem Publikum zeigen? Nichts,
    er braucht dich! Soll er nun auch zu Hause
    hocken, weil du nicht mehr magst? Denkst du
    gar nicht an ihn? Sag’, Franzle, willst auch du
    nicht mehr? Möchtest du Tag für Tag auf der
    Schulbank sitzen und jeden Augenblick vor des
    Schulmeisters Stecken die Hände verbergen
    oder den Kopf einziehen?“
    Der Kleine machte eine Bewegung, als ob
    ihn schauderte.
    „Nein, nein!“ fuhr Signor Ercole fort, „ihr
    müßt zusammengehen wie Brüder, dann wer-
    det ihr reiche Leute, steinreiche Leute, sag’ ich
    euch! Könnt ein Leben führen, wie die Vögel
    im Hanfacker, und alle Zeitungen werden von
    den fratelli Zobelli voll sein, von dem Arrigo
    nicht minder als von dem Freschino. Was woll-
    test du denn anfangen, Heinz? Ein Schuster
    werden und pecheln, daß man dich auf eine
    Stunde röche? Oder ein Schneider, und vom
    Morgen bis zum Abend wie eine Kröte auf ei-
    nem Tische hocken, dir die Finger zerstechen,
    und wenn sich Gelegenheit zeigt, ein Fetzlein
    Tuch erschuften, nur damit du genug zu kauen
    hast? Oder ein Fabrikler, und mit rußigem
    Gesicht, zerhämmerten und narbigen Händen
    und ölfleckigen Flickhosen umherlaufen? Und
    Franz soll auch ein Schuster oder Schneider
    oder Fabrikler werden?“
    Der Kleine schlich sich bekümmert heran
    und umschmeichelte den Bruder.
    „Und an die Mutter denkst du nicht und
    die vielen Geldstücke, die ihr für sie verdient?“
    fuhr Signor Ercole fort, „habt ihr gestern nicht
    den ganzen glänzenden Haufen in der Schub-
    lade gesehen? Sieh, das Geld kann Franz nicht
    allein verdienen, da mußt du mit helfen! Es
    ist wie bei dem Baum mit den Goldblättern!
    Weißt du noch?“
    Heinz hörte die Mutter tief aufatmen und
    spürte Franz wie ein Kätzchen an seiner Seite.
    Er bäumte sich innerlich noch, aber er war zu
    gutherzig, um Mutter und Bruder wehe zu tun,
    und außerdem schmeichelte es dem Ehrgeizi-
    gen, deutlich vernommen zu haben, daß er un-
    entbehrlich sei.
    „Aber die Mutter muß mitkommen!“ stieß
    er endlich, den Kampf aufgebend, hervor.
    Sie hatte am Abend zuvor erklärt, die Wag-
    halsigkeit nicht wieder ansehen zu wollen, die
    Angst, die sie ausgestanden, komme ihr Zeit
    ihres Lebens nicht mehr aus den Gliedern.
    Jetzt war sie leicht zu bewegen, den Gang zum
    zweitenmal zu unternehmen, sie hätte auch
    sonst dem Verlangen, ihre Kinder bewundert
    zu sehen, wohl nicht lange widerstanden.
    „Und du mußt mich immer ansehen!“
    „Ja, sei ruhig, ich werde dich immer anse-
    hen“, versicherte sie. Heinz wurde etwas leich-
    ter ums Herz, er erinnerte sich, daß das Auge
    der Mutter ihm am vergangenen Abend die
    Kraft gegeben hatte, bis zum Schlusse auszu-
    halten, ihr Blick sollte ihm auch heute helfen.
    Als Heinz die Schwelle des Theaters über-
    schreiten sollte, überfiel ihn die Angst wieder.
    Er stutzte und ließ sich von Signor Ercole hin-
    einschieben. Auf der Treppe stieß er auf Bianca,
    die in ihrem gelbseidenen Engelkleide heran-
    hüpfte, ihm im Vorbeihuschen mit ihrem lan-
    gen Finger einen Nasenstüber versetzte und
    sich dann an Franzens Schulter hängte. Heinz
    war ihre Neckerei kaum zum Bewußtsein ge-
    kommen, ihn beschäftigte die angstvolle Frage:
    „Werde ich ihn halten können?“
    Das Programm stimmte bis auf wenige Ein-
    zelheiten mit demjenigen des ersten Abends
    überein. So war es immer: man führte vor, was
    sich als zugkräftig erwiesen hatte, und war das
    Publikum damit gesättigt, so zog man eben
    weiter. Daher das rastlose
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