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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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mir zuerst, du seiest nicht böse! Sag’s,
    Müeti! Oder schlag mich und sei dann wieder
    gut! Schlag mich, so stark du kannst!“
    „Geh, ich möchte am liebsten ins Wasser
    springen, man hat nichts als Kummer von dir!“
    „Bin ich denn allein schuld? Ich wollte ja
    nicht mehr spielen!“ Die Tränen rollten ihm
    aus den Augen und bettelten für ihn. Ach, was
    waren ihr Tränen, sie hatte heute selber deren
    genug vergossen und erwiderte: „Nein, du bist
    nicht schuld!“
    Er fühlte, daß sie es anders meinte, ihr: „du
    bist nicht schuld“ war spitz wie eine Nadel.
    Fester klammerte er sich in der Angst seines
    Herzens an sie an, sie aber hatte den Auftritt
    satt und ließ ihn rauh an: „Laß mich los, soll
    der Kleine deinetwegen aufwachen!“
    Nun fielen seine Arme schlaff herab, und
    sie ging in ihre Schlafkammer. Einen Augen-
    blick empfand sie Reue über ihr unmütterliches
    Betragen, und sie war im Begriffe umzukehren.
    Aber nein, sie konnte es nicht, sie konnte für
    ihn kein gutes Wort finden, heute wenigstens
    nicht, ihr unsäglicher Schmerz und ihr Zürnen
    mußten sich auf jemand entladen.
    Heinz blieb auf dem Boden liegen und wand
    sich. Er wurde von derjenigen gehaßt, die er so
    sehr liebte, er hat sie und Franz unglücklich
    gemacht, wie konnte er das aushalten?
    „Fort, weit, weit weg!“ tönte es in ihm, und
    dann hörte er wieder ein anderes Wort, ein
    Wort der Mutter. Das ward ihm zu einer Er-
    leuchtung.
    Er wartete, bis alles ganz still geworden war,
    dann erhob er sich, schlüpfte leis in die Kleider,
    beugte sich über Franz, ohne ihn jedoch zu be-
    rühren, aus Furcht ihn zu wecken, und schlich
    auf den Zehen in die Stube und von da in den
    Hausflur und die Treppe hinunter, in beständi-
    ger Angst, die Stimme der Mutter möchte hin-
    ter ihm erschallen. Mit Anstrengung schob er
    den schweren Riegel zurück, und dumpf und
    knurrig schlug die ungefüge Tür hinter ihm zu.
    Er eilte hinaus in den ‚Sack‘, an der Werkstätte
    Meister Wäspis vorbei und dann die stillen,
    menschenleeren Gassen entlang, nur von sei-
    nem flüchtigen Schatten und dem Monde be-
    gleitet. Die Mutter hatte ihm mit ihrem Worte:
    „Ich möchte am liebsten ins Wasser springen!“
    den Weg gewiesen. In früheren Jahren hatte
    er sich daran gewöhnt, unter dem Sprung ins
    Wasser sich etwas Gutes, Erleichterndes vorzu-
    stellen, er hatte ihn ja schon einmal versuchen
    wollen, jetzt galt es ernst.
    Schon sah er die Brücke vor sich und deut-
    lich gurgelte und rauschte und flüsterte nun
    der Fluß empor. Es wurde Heinz ganz leicht
    zumute, das mußte ja die Erlösung sein! Wie
    andere Menschen ins Bett steigen, mit dem
    Vorgefühl der Ruhe und der Schwerelosigkeit
    die Decke zurückschlagen und sich hinsinken
    lassen, so stieg er auf das eiserne Geländer und
    darüber weg, ohne zu zaudern, ohne Furcht
    und Grausen, drunten lag ja sein Ruhebett.
    Die Wasser rauschten kaum auf, als er ver-
    sank; nicht einmal sie spendeten ihm Beifall,
    als ihm endlich sein Salto mortale gelang. Das
    war nun einmal sein Los.
    Tags darauf fand ein Fischer den Leichnam
    eine Stunde unterhalb der Stadt. Das Röhricht
    hatte Heinz mit weichen Armen aufgenommen
    und gewiegt und gab ihn nun den Menschen
    und dem Staube zurück.
    Das Antlitz war ruhig, wie das eines Schlä-
    fers, nur um den Mund lag ein leichter Zug der
    Unzufriedenheit, als verfolgte der bittere Ge-
    schmack der Zurücksetzung den Armen auch
    im Tode noch.
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