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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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antworteten
    hunderte im ganzen Haus und übertönten den
    grausigen Schlag auf der Bühne.
    Heinz fiel neben seinem Bruder zu Boden.
    Signor Ercole stürzte herbei und hob den Klei-
    nen in die Höhe. Franz schien leblos, die Arme
    hingen schlaff an ihm herunter, Blut quoll ihm
    aus Mund und Nase.
    Bei dem Anblick schnellte sich Heinz em-
    por und schrie wie ein Wahnsinniger, wie ein
    verwundetes Waldtier in den Zuschauerraum
    hinaus, so laut und wild und jammervoll, als
    seine Brust konnte. Niemand achtete auf ihn,
    man drängte sich heran, jeder von dem Gedan-
    ken getrieben, dem Kleinen zu helfen. Ein Arzt
    war zugegen, der stieg auf die Bühne, befahl
    mit grimmigen Blicken den Vorhang zu senken
    und kniete an Franzens regungslosem Körper
    nieder.
    Als Heinz eine halbe Stunde später sich von
    der Bühne wegschlich, schmiegte sich jemand
    weich an ihn an, und ein vertrauliches, süßes
    Geflüster drang ihm ins Ohr: „Gelt, du hast es
    gern getan?“
    Es war Bianca. Ihre Stimme klang nicht
    etwa vorwurfsvoll, vielmehr heimlich froh,
    gleich der einer Mitverschwornen, boshaft und
    teuflisch wie jene andere, die Heinz die Kraft
    genommen hatte. Den Knaben fror bei dem
    Wort, er erinnerte sich an die süße Weise, mit
    der der gleiche Mund so oft den armen Franz
    umschmeichelt hatte:
    „Treu und herzinniglich …“
    Er stieß das unheimliche Wesen von sich
    und entfloh.
    V.
    ls Franz aus seiner Betäubung erwachte,
    A lag er mit vielen andern in einem großen
    Saal; ein Beutel mit Eis senkte sich auf seinen
    glattgeschorenen Kopf, der rechte Arm steckte
    in einem schweren Verbande.
    Neben dem Bette saßen die Mutter und
    Heinz, er lächelte ihnen zu, wie er sie durch
    die verschleierten Augen hindurch erkannte.
    Dem ‚Großen‘ stürzten die Tränen unter den
    Wimpern hervor.
    Franz schien sich zu besinnen und sagte:
    „Gelt, du hast mich fallen lassen?“
    Heinz stöhnte etwas Unverständliches,
    faßte des Bruders Linke und drückte sie so fest,
    als er konnte. Bald schlummerte der Patient
    wieder ein, und Mutter und Bruder verließen
    den Saal auf den Fußspitzen.
    Franz genas rasch. Schon nach drei Wochen
    durfte er das Bett verlassen und im Garten des
    Krankenhauses sich ergehen, den rechten Arm
    trug er vor der Brust in einer Schlinge. Heinz
    war beständig um ihn, las ihm jeden Wunsch
    von den Lippen ab und sah ihn mit guten trau-
    rigen Augen an, die mit jedem Blick etwas ab-
    baten und des Bettelns nicht müde wurden.
    Man hatte ihn nicht getadelt, oder fast nicht.
    Er hätte lieber schwere Strafen über sich erge-
    hen lassen, das Geschehene lastete unsäglich
    auf ihm, die Zerknirschung schaute ihm aus
    den Augen und zitterte in jedem Worte, das
    er sprach. Wie ein Schatten schlich er einher,
    nur wenn er mit Franz zusammen war, suchte
    er heiter zu sein, um den Kleinen nicht auch
    traurig zu stimmen. Saßen sie im Spitalgarten
    auf einer einsamen Bank oder auf schattigem
    Rasen, so fing der Kleine gern von ihrer Kunst
    zu plaudern an, er sehnte sich so sehr danach,
    sie war ihm das Leben geworden. Heinz litt
    Martern bei diesen Gesprächen, ihm schau-
    derte bei dem Gedanken an den Riesenrachen,
    der nach der Bühne gähnte, und das Herz zit-
    terte ihm bei der Erinnerung an den Unglücks-
    abend. Aber er ließ es sich nicht merken und
    fand sogar die Kraft, seinem Bruder zuzulä-
    cheln und zuzunicken und mit ihm Zukunfts-
    pläne zu schmieden: „Wenn du wieder ganz ge-
    sund bist, dann machen wir das und das und
    das …“
    Von Zeit zu Zeit erschien Signor Ercole, der
    unterdessen Vorstellungen in den benachbarten
    Städtchen gab. Er erkundigte sich nach Fran-
    zens Befinden, ob ihm der Kopf gar nicht mehr
    wehe tue, auch nicht, wenn man darauf drücke
    oder er sich bücke, ob er die Finger im Gipsver-
    band bewegen könne und keine Schmerzen im
    Ellbogen und Handgelenk spüre.
    Mit ihm erschien fast immer auch Bianca.
    Sie tat, als wäre Heinz gar nicht zugegen, und
    überhäufte dafür Franz mit Aufmerksamkeiten
    jeder Art, nannte ihn ein armes aus dem Nest
    gefallenes Vögelein, einen Schmetterling, dem
    ein böser ‚Jung‘ einen Flügel ausgerissen habe,
    und ging nie, ohne ihm ihr Lied gesungen oder
    gesummt zu haben:
    „Hab’ ich doch manche Nacht
    Schlummerlos zugebracht,
    Immer an dich gedacht, Robin Adair.“
    Heinz merkte wohl, daß sie mit diesen Din-
    gen weniger seinem Bruder etwas zulieb, als
    ihm etwas zuleid tun wollte; aber er war nun
    allen Sticheleien gegenüber
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