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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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und Wirtshäuser
    gibt’s in allen Gassen und an jeder Ecke, fast so
    viel als Haustüren!“
    Er reckte sich in die Höhe, warf den Kopf
    zurück und sagte entrüstet: „Glauben Sie, ich
    wolle die Buben in Wirtschaften herumführen
    wie Affen und dressierte Hunde? Die Würde,
    Frau Zöbeli, die Würde! Ha! Wir sind Arti-
    sten, Künstler, sage ich! Sie verstehen das eben
    nicht, darum müssen Sie mir glauben und mir
    vertrauen! Wer das Glück will, muß schon ein
    Paar Schuhe wagen!“
    „Und wenn Sie ziehen, wer bürgt mir, daß
    Sie wiederkommen?“
    Da er ein Gesicht schnitt, das sagen sollte:
    „Weibergeängst!“, erhob sie sich und wies mit
    der Hand nach dem Fenster. „Sie kennen jene
    zwei Blumentöpfe, aber Sie wissen nicht, was
    sie mir sind. Die hat mir mein Mann selig ge-
    schenkt, jedesmal wenn ich in den Wochen lag,
    und ich kann nicht helfen: die beiden Azalien
    sind mir meine Buben. Und nun sehen Sie sel-
    ber! Die eine ist grün und gedeiht und blüht je-
    des Jahr, und die andere, es ist Franzens, serbelt
    und wäre schon lange dürr und tot, wenn ich
    sie nicht hätschelte wie ein Kind. Der Kleine
    wird mir nicht am Leben bleiben, und ich soll
    ihn in die Welt ziehen lassen? Ich hätte keine
    ruhige Stunde mehr.“
    Sie rang mit den Tränen und Valentin Hä-
    berle, der von Aberglauben selber nicht ganz
    frei war, gab für einmal den Kampf auf und zog
    sich in sein Zimmer zurück.
    Vierzehn Tage später wiederholte er seine
    Überredungskünste. Mit dem nämlichen Miß-
    erfolg. Wie Frau Zöbeli schon hoffte, er werde
    sich wieder zurückziehen, änderte er unvermit-
    telt das Gespräch, wie eine abprallende Kugel
    ihre Richtung.
    „Frau Zöbeli, Sie haben keinen Glauben an
    mich, kein Zutrauen; womit habe ich das ver-
    dient? Ich will Ihnen zeigen, wie unrecht Sie
    mir tun, ich will — Ihnen — ein Geständnis
    machen.“
    Er hielt inne und keuchte wie einer, der eine
    Last wälzen muß.
    „Ich spüre es schon lang’ — — schon lange,
    Frau Zöbeli — —“
    Er rang nach Worten oder tat doch derglei-
    chen und stieß endlich kurz hervor: „Ich kann’s
    nicht über die Lippen bringen, Sie müssen’s
    erraten!“
    Seine Augen beteten sie an; sie begriff und
    wich auf der Bank scheu zurück.
    Er, um sie zu beruhigen, rückte gleichfalls
    zurück und sagte dann: „Ich habe Sie beobach-
    tet, Sie sind eine wackere Frau, vor Ihnen muß
    jeder Respekt haben, Sie schlagen sich durch,
    ein Messer könnt’ sich daran ein Beispiel neh-
    men! Aber ein Leben als alleinstehende Frau,
    als Witwe, ist das ein Leben? Sie nagen an
    Ihrem Kummer und Unglück, und nicht zu-
    frieden, sich jahraus, jahrein in graues Tuch
    zu kleiden, meinen Sie, Sie müßten auch Ihre
    braunen Haare vor der Zeit grau werden lassen.
    Sie müssen sich aus dem Trübsinn herausrei-
    ßen oder herausreißen lassen! Wenn wir zwei
    uns zusammentäten, wir hätten ein Leben wie
    die Mäuse auf dem Kornboden!“
    Sie war so verblüfft über seinen Antrag, daß
    sie keine Antwort fand.
    „Überlegen Sie sich die Sache“, sagte er mit
    weicher Stimme und verließ sie mit einer ehr-
    erbietigen Verbeugung, wie wohl noch keine in
    dem armmütigen Dachstübchen gemacht wor-
    den war.
    Als der Freier buckelnd hinter der Türe ver-
    schwunden war, brachen der Frau die Tränen
    hervor. Es war ihr, sie habe eben einen schweren
    Schimpf erlebt, und dann wieder, sie sei sich ei-
    nen kurzen Augenblick untreu geworden; denn
    wie sie die Worte und Gebärden ihres Zimmer-
    herrn endlich verstanden, hatte eine kurze Freu-
    denwallung, das Glück, Liebe erweckt zu haben,
    sie durchschauert. Die arme, schildlose Witwe
    meinte zwar ganz genau zu wissen, daß sie Va-
    lentin Häberle nie heiraten werde, aber sie ver-
    zieh sich doch jene flüchtige Regung, die ihr als
    Untreue gegen ihren Wilhelm erschien, nicht,
    und sie dachte in Schmerz und Reue an den
    Grabhügel ihres Mannes. Am Abend, als sie die
    Kleinen zu Bette brachte, fragte sie: „Ist es wahr,
    daß ihr von eurer Mutter weggehen, in der Welt
    herumziehen und Purzelbäume schlagen wollt?“
    „Wir nehmen dich mit, Müeti!“
    „Ach nein, Kinder! Wer möchte ein Land-
    streicher werden! Dabei holt man nichts Gutes
    heim!“
    Da begann Franz eine von Häberles Ge-
    schichten zu erzählen: „Hör’, Müeti! Es war
    einmal ein Bub, und der hatte keinen Vater
    mehr und ging fort, ihn zu suchen. Er lief und
    lief und kam zu einem runden, großmächtigen
    Bretterhaus. Und die
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