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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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vielleicht nie, nie-
    mals wieder.“
    Die Knaben spitzten die Ohren.
    „Ja, sperrt nur Mund und Augen auf, Jun-
    gens, es tut mir leid, aber ich kann es nicht än-
    dern, ich gehe nun bald fort, weit, weit weg und
    komme nie wieder. Ja, ich glaube, nie wieder!
    Ich möchte den Wald suchen, wo es goldene
    Bäume und auf den goldenen Bäumen Goldfin-
    ken und Goldmeisen gibt.“
    „Nimm uns mit!“
    Er schüttelte den Kopf und seine Rechte
    drehte sich abweisend in der Luft.
    Das war für die Zöbelibuben ein Schlag.
    Sie hatten sich mit ihrem Meister und seiner
    Kunst so fest zusammengelebt! Franzli fing zu
    weinen an und blieb untröstlich, bis sich Herr
    Häberle erweichen ließ.
    Am Abend flüsterten die Knaben der Mut-
    ter den Vorfall in die Ohren, mit bekümmerten
    Gesichtern und, wie es in der Art phantasievol-
    ler Kinder ist, mit beträchtlichen Übertreibun-
    gen. Das gab der armen Frau die ganze Nacht
    zu denken. Sie rechnete aus, was sie in den
    vergangenen Jahren von Häberle empfangen
    hatte, es machte ein hübsches Sümmchen aus,
    das, was er den Buben in Form von Wurst und
    Nickelmünzen gesteckt hatte, nicht einmal
    gerechnet. Würde sie je wieder einen solchen
    Zimmerherrn kriegen? Wie hätte sie ohne ihn
    all die Zeit gelebt? Hatte sie sich nicht manch-
    mal gestanden, er sei ihr zum großen Glück ge-
    kommen? War sie ihm nicht aufrichtigen Dank
    schuldig?
    Ja, dankbar wollte sie ihm sein, aber ihn hei-
    raten? Nein! Sie erinnerte sich an die Tage, da
    sie sich mit ihrem Wilhelm versprochen, und
    die ihr nun, durch die lange Zeit hindurchgese-
    hen, wie ein goldenes Märchenalter erschienen.
    Sie hatte immer noch sein Wort in den Ohren:
    „Ich mag dich so gut, Seline, und du mich?“ Ja,
    das war eine andere Musik als das schreckli-
    che „Guten Morgen, Frau Zeebele“ des Herrn
    Valentin. Hätte sie sich in ihrer Witwenschaft
    das Lachen nicht ganz abgewöhnt, sie würde
    jetzt bei der Erinnerung an den Gruß in ihre
    Kissen gekichert haben. Aber gleich machte
    sie sich wieder Vorwürfe: Wie konnte sie den
    Mann lächerlich finden? Hatte er nicht treff-
    liche Eigenschaften? Seine Hände hielten zu-
    sammen wie Nußschalen, da ging nichts ver-
    loren; er trank nicht, spielte und fluchte nicht,
    Zornmut und Roheit waren ihm fremd. Und
    was die Hauptsache war: Den Buben würde es
    gar nicht schwer fallen, zu ihm „Vater“ zu sa-
    gen, das hatte sie schon gemerkt.
    So überlegte sie, dann aber schüttelte es sie
    wieder: „Ich habe einen Mann gehabt, und dazu
    einen braven und armen, den mir die Eisenbahn
    erdrückt hat, und dem will ich treu bleiben.“
    Aber wenn Valentin Häberle aus ihren Bu-
    ben Goldfinken machte? Wenn er für sie das
    Glück wäre?
    Der Morgen dämmerte durch die Fensterschei-
    ben, und ihre Gedanken schleppten sich immer
    noch auf der nämlichen Stelle vorwärts und
    wieder zurück, in ewiger Unentschlossenheit.
    Noch befangener als am Tage zuvor brachte
    sie dem Mietherrn das Frühstück, und noch
    hoffnungsloser, fast auf den Lippen aushau-
    chend klang sein „ Guten Morgen“; und dabei
    sah er, von ihr abgewandt, über die Dächer der
    Stadt hinweg, auf denen ein grauer, schwermü-
    tiger Oktobertag heranschlich.
    Die Frau streifte ihren Anbeter mit einem
    flüchtigen Blick, es kam fast wie Stolz über sie:
    also dermaßen konnte sie, die arme Wittib, ei-
    nem weltbewanderten Manne noch zusetzen?
    Wenn es ihm wirklich so zu Herzen ging, wie
    es allen Anschein hatte, war er nicht bemitlei-
    denswert?
    So verstrichen vierzehn Tage. An einem
    Samstagabend, als Seline Zöbeli von der Arbeit
    heimkehrte, fand sie auf ihrem Tische einen
    Brief. Sie riß den Umschlag auf. Das Schreiben
    war von Herrn Häberle, der ihr mitteilte, ein
    solches Leben sei ihm wie Tod oder schlimmer,
    er könne es nicht mehr aushalten und stelle ihr
    deshalb das Zimmer wieder zur Verfügung.
    Da hatte sie die Bescherung! Sie schlief
    nicht in jener Nacht und am Morgen vermochte
    sie das Frühstück nicht selber hinüberzutragen,
    sie schickte Heinz. Der wußte nachher zu be-
    richten, Häberles Reisekoffer stehe mitten im
    Zimmer, weit geöffnet und halb gepackt, und
    ringsum liegen die Dinge bunt durcheinander.
    Die Mutter rechnete den ganzen Tag, und
    Gedanken und Bedenken aller Art wühlten in
    ihr.
    Gegen zwölf Uhr trat Herr Häberle herein,
    feierlicher als je zuvor, und bat um eine Unter-
    redung ohne die Kinder. Und nun lief er wie-
    derum Sturm.
    Er malte der Frau goldene Berge und
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