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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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über-
    wache, geschieht ihnen kein Leides. Weil nun
    aber die Sache zur Sprache gekommen ist,“
    fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu und
    den Kopf vorstreckend, um ihr recht nahe zu
    sein, „muß ich Ihnen einmal den Star stechen:
    es wächst Ihnen ein Glück im Hause groß,
    und Sie merken es nicht. Ja, ja, so ist es! Der
    Häberle hat ein Stück Welt abgelaufen und
    einen Sack voll Erfahrung von der Straße auf-
    gelesen, was er sagt, ist kein Wind! Noch ein
    paar Jahre, und er hat aus den Zöbelibuben
    etwas gemacht, das sich vor der Welt zeigen
    darf! Artisten, so wahr ich Valentin Häberle
    heiße!“
    „Was faseln Sie mir vor?“
    Er wiederholte seine Rede.
    „Geschwätz! Geflunker!“
    „Nein, Wahrheit“, erwiderte der Mann mit
    steinerner Ruhe. „Lassen Sie mich die Knaben
    noch zwei Jahre unterweisen, so kommt Ihnen
    ein ganzer goldener Reichtum ins Haus. Fünf-
    zig, hundert, zweihundert Franken werde ich
    mit den Buben jeden Abend verdienen …“
    „Und in den eigenen Taschen versorgen!“
    „Pardon, Frau Zöbeli, jedem das Seine! Ich
    bin ein Ehrenmann! Was über die Auslagen
    bleibt, davon mache ich zwei Häufchen, ehr-
    und redlich! Dann brauchen Sie nicht mehr
    bei Ihrer Putzerei zu buckeln und zu kriechen
    und zu knien! Sie wohnen in einem schönen
    Hause, essen jeden Tag Ihre fette Suppe und
    etwas Festes dazu; Sie können Ihrem seligen
    Mann einen Grabstein setzen, was Sie schon
    lange wünschen …“
    So redete er ihr zu und streute Rosa und
    Grün über die Dinge aus. Sie schüttelte den
    Kopf, aber immer schwächer, und als sie aus-
    einandergingen, sagte sie weder „ja“ noch
    „nein“, wie es bei unschlüssigen Leuten Brauch
    ist; er aber wußte, daß die Sache zu seinen
    Gunsten entschieden war und er seine Pläne
    weiter verfolgen durfte.
    II.
    wei Jahre und einige Monate später an ei-
    Z nem regnerischen Sonntagnachmittag trat
    Herr Häberle in das Wohnstübchen seiner Miet-
    frau und suchte ihr durch würdevolle Haltung
    und einen feierlichen Gruß zu verstehen zu ge-
    ben, daß er ihr etwas Wichtiges mitzuteilen
    habe. Sie achtete wenig auf ihn und schob ihm
    mehr mechanisch als höflich einen Stuhl zu-
    recht; denn in den grauen Herbstwochen, da
    sich der Todestag ihres Mannes jährte, legte
    sich gerne der Trübsinn wie eine Wolke über
    sie, und sie hätte dann am liebsten die Sonn-
    tage durchgeweint.
    „Ich bin nun so weit“, sagte Valentin Häberle
    mit gewichtiger Miene.
    „So?“ erwiderte sie gleichgültig und tonlos.
    „Es ist eine wichtige, eine gute Nachricht,
    Frau Zöbeli, Sie dürften schon darauf hören!“
    sagte er recht laut, um die vor ihm brütende
    Schwermut aufzuscheuchen.
    Sie erhob den Kopf.
    „Ich rede von Ihren Knaben, sie sind nun et-
    was, brauchbar, um Geld zu verdienen; ich bin
    am Ziel, an einem ersten Ziel wenigstens.“
    Sie sah ihn zweifelnd an.
    „Wir stehen am Anfang einer Straße, und
    die Straße heißt Wohlstand, Glück!“ Er mußte
    das Wort zweimal sagen.
    „Das mögen Sie andern weismachen!“ ent-
    gegnete sie endlich mutlos abwehrend. „Ich
    bin zum Unglück geboren und in Armut muß
    ich leben und sterben.“
    Er aber, um sie aufzurütteln, rief: „Ehren-
    wort und Ehrenmann, Frau Zöbeli! Ich halte
    es allezeit mit der Wahrheit, und was ich sage,
    ist verbürgt wie gesagt. Lassen Sie uns ziehn,
    mich und Ihre Knaben, daß ich mein Wort be-
    weise; denn wir müssen nun in Gottes Namen
    in die weite Welt hinaus. Davon wollte ich mit
    Ihnen reden.“
    „In die weite Welt hinaus?“ Das Wort gab
    der armen Frau einen Stoß, das Blut schoß ihr
    nach dem Herzen. Sie streckte die Hände aus,
    als wären die Knaben vor ihr, und rief: „Nein,
    guter Herr! Das nicht!“ Sie sollte sich von ihnen
    trennen, sie in die Fremde ziehen lassen, auf
    Straßen, die sie selber nicht kannte? Sie sollte in
    der einsamen Wohnung, in ihrem Kummerstüb-
    chen zurückbleiben und allein an ihrem Gram
    spinnen? Abends, wenn sie nach Hause kehrte,
    käme ihr niemand entgegengesprungen? Stube
    und Kammer, alles sollte wie ein Grab, wie eine
    Kirchhofecke sein? Nein, ihr schauderte. Hätte
    sie gewußt, daß die Possen zu dem Ende führten,
    nie hätte sie ihre Zustimmung dazu gegeben.
    Er suchte ihr begreiflich zu machen, daß,
    wer den Apfel anbeißt, ihn essen muß.
    „Nein, sie bleiben bei mir! Warum wollen Sie
    denn in die weite Welt? Können Sie etwas mit
    ihnen anfangen, so tun Sie’s in unserer Stadt,
    die ist groß und weit genug,
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