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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale
Autoren: Jakob Bosshart
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hell wie am
    lichten Tage, so strahlend war das Gold. Die
    Mutter, die in ihrem grauen Kleid traurig auf
    der Bank saß, denn sie meinte, die Buben seien
    ihr verloren gegangen, lächelte den beiden
    zu, kniete auf den Boden nieder und vergrub
    die Hände und die Arme in dem funkelnden
    Goldberg.“
    So etwa erzählte Meister Häberle, und fast
    auf jedem Spaziergange tauchte der mit Gold
    gefüllte Korb irgendwo auf: kam ein Fleischer-
    oder Bäckerbursche einher, so suchten die
    Knaben mit glänzenden Augen zu erspähen,
    womit sein Korb gefüllt sein möchte, und ge-
    lang es den offenen Augen nicht, das Geheim-
    nis zu schauen, so geriet es den geschlossenen
    im Traum.
    Pflanzte Herr Häberle den Knaben so den
    nötigen Abenteuergeist ein, so suchte er ihnen
    auch sonst beizubringen, was sich ihm selber
    auf seinen Wanderfahrten als vorteilhaft erwie-
    sen hatte, so einige französische Brocken und
    die Kunst, Knickse und Kratzfüße zu machen
    und verbindlich zu lächeln.
    All das geschah in der Weise des Spiels, als
    Zeitvertreib, und die Knaben fanden es unsäg-
    lich lustig, wenn sie zu der Mutter sagen konn-
    ten: „Du pain, s’il vous plaît!“ und sie mit dem
    fremden Gegacker nichts anzufangen wußte
    und ein verlegenes Gesicht machte. Sie ließ
    sich indessen gerne etwas hänseln, sie freute
    sich über die Gelehrsamkeit, die ihren armen
    Bübchen anflog, und freute sich noch mehr
    über ihr Gedeihen, denn von Woche zu Woche
    wurden sie kräftiger und ihre Backen voller.
    „Sie sind ein gutes Kindermädchen“, sagte
    sie einst zu ihrem Zimmerherrn; und er erwi-
    derte wohlgelaunt und die Hände wie Flügel in
    den Lüften schwingend, als wollte er auf und
    davon: „Sie sollen noch Wunder erleben, Frau
    Zöbeli!“
    Der Mann spannte seine Hoffnungen schon
    über alle Baumwipfel und Kirchtürme, er
    glaubte am Horizonte das Ende seiner schlech-
    ten, das Morgenrot seiner guten Tage zu er-
    blicken. Denn seine Schüler waren für seine
    Zwecke viel geeigneter, als er anfangs geträumt
    hatte. Besonders Franzli. Der war geschmeidig
    wie eine Haselrute, von quecksilberner Beweg-
    lichkeit, und immer lustig und leichtsinnig. Va-
    lentin Häberle war kein Gefühlsmensch, aber
    für dieses Ouecksilber schlug sein Herz wie
    das eines Vaters. Mußte der Kleine etwas un-
    ternehmen, bei dem es eine Beule oder etwas
    noch Schlimmeres absetzen konnte, so wagte
    der alte Kerl kaum zu atmen, bis die Gefahr
    vorüber war. Und sie zog stets vorbei, sie schien
    das waghalsige kleine Menschenkind ganz zu
    übersehen.
    Sein älterer Bruder hielt anfangs mit ihm
    wacker Schritt, aber alles fiel ihm schwerer
    und mußte erarbeitet und erschwitzt werden,
    während dem Kleinen das Schwierigste zum
    Spiel wurde.
    Heinz hatte eben schleichenderes Blut in
    den Adern und bequemeres Fleisch, dafür einen
    stärkern Willen als der Kleine. Hätte der sich so
    abrackern müssen, die Wurstzipfel und Fünfer
    und Märchen hätten ihren Zauber bald einge-
    büßt. Bei Heinz waren es nach einiger Zeit nicht
    mehr die Leckerbissen, die ihm den Eifer wach
    hielten, es war etwas Stacheliges, das in seiner
    Brust wühlte und ihn zwickte und in Atem
    hielt: der Ehrgeiz. Der Keim dazu war ihm an-
    geboren, Meister Valentin zog ihn groß. Wenn
    er mit seinen tiefliegenden, lauernden Augen
    den etwas schwerfälligen Knaben musterte, er-
    innerte er sich an seine eigenen Lehrjahre und
    an die Erziehungsgrundsätze seines Vaters.
    „Bei Künstlern“, pflegte der abgedankte Turn-
    und Tanzlehrer in der Weinlaune großtuerisch
    zu sagen, „ist der Ehrgeiz alles. Die Bibel be-
    richtet, der Glaube könne Berge versetzen! Was
    der Glaube für die Religion, das ist der Ehrgeiz
    für die Kunst. Er ist der Vater alles Könnens
    und jeglicher Tüchtigkeit. Er lehrt Hunger und
    Durst und was es sonst an Notlagen gibt, gedul-
    dig ertragen; er überwindet die Trägheit, die in
    allem Fleische steckt, er vertreibt die Mutlosig-
    keit, er lehrt über den eigenen Schatten sprin-
    gen und reißt das Tor zur Unsterblichkeit auf.“
    Hielt man ihm entgegen, eine solche Erzie-
    hungsmethode verderbe den Charakter, ma-
    che den Menschen selbstsüchtig, brutal, lenke
    seine Blicke auf das Äußere statt auf das ei-
    gentliche Wesen der Dinge, könne nur Schein-
    tüchtigkeit oder jene Künstlerschaft erzeugen,
    die für Seiltänzer und Athleten erstrebenswert
    sei, so schlug er mit der derben Turnerfaust auf
    den Tisch und rief: „Papperlapapp! Kunst
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