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Salamitaktik

Salamitaktik

Titel: Salamitaktik
Autoren: Ralf H. Dorweiler
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ließ das Wasser laufen und öffnete die kleine, schmale Luke. Fluchend schloss er sie wieder. Wegen des Milchglases hatte er nicht erkannt, dass das Fenster von außen vergittert war. Darum hatten ihn die beiden also überhaupt allein gelassen.
    Marios Schädel war kurz davor zu explodieren. Er hatte nicht nur diese verdammten Würste verloren, sondern sich auch noch auf den Teppich erbrochen. Wahrscheinlich würde schon ein einziges der beiden Vergehen ausreichen, um auf irgendeine traditionelle türkische Foltermethode langsam und qualvoll um die Ecke gebracht zu werden. Vielleicht würden sie es auch ganz schlicht machen: eine Kugel durch den Kopf. Oder ihn einfach totprügeln. Oder der Riese würde das mit seinem Schädel machen, was er vorhin an dem Koffer demonstriert hatte.
    Die Tür schlug auf, und der Messertyp fragte: »Bist du fertig?«
    Mario nahm noch mal eine Handvoll Wasser in den Mund und spuckte es aus. Mit grauen Papiertüchern aus einem Handtuchspender wischte er sich Lippen und Kinn notdürftig trocken.
    In dem ersten Raum roch es noch deutlich sauer, obwohl gelüftet wurde. Der Teppich war weg. Mario war höchstens drei Minuten auf der Toilette gewesen, trotzdem hatten sie den Teppich schon entsorgt. Oder in die Reinigung gebracht, was auch immer. Mario überkam das Verlangen nach einem ordentlichen, fetten Joint. Man führte ihn ins Hinterzimmer, das deutlich gemütlicher eingerichtet war. Ein paar Polsterstühle mit hässlichen Bezügen standen um einen schlichten Tisch. In einer Ecke des Raums lief auf einem winzigen Fernseher ein türkischer Sender, ein dichter roter Vorhang hielt das Tageslicht draußen. Auf den Bildern an der Wand waren türkische Landschaften gemalt. Der Künstler hatte einen Hang zum Naiven, so, wie die Bauern mit ihren Eseln aussahen.
    Umut saß auf einem der Stühle am Tisch und hatte ein mit einem Goldrand verziertes Teeglas vor sich stehen, ebenso wie der schicke Mann, den Mario auf etwa vierzig schätzte. Der Riese stand hinter Umut und betrachtete Mario abschätzend. An einem freien Platz stand ein weiteres Teeglas. Die Sachen aus dem falschen Koffer lagen ausgebreitet auf der anderen Hälfte der Tischplatte.
    Â»Setz dich. Trink.«
    Die Pause dauerte, bis Mario den ersten Schluck getrunken und das Glas wieder auf den Untersetzer gestellt hatte.
    Â»Vergessen wir das, was gerade passiert ist«, sagte Umut generös und machte eine wegwischende Handbewegung.
    Â»Es tut mir so leid …«
    Â»Du sagst keinen Ton, wenn du nicht gefragt wirst«, fiel ihm der Neffe scharf ins Wort. Mario schwieg sofort.
    Â»Der Teppich war nicht viel wert. Ein modernes Ding. Nicht so wie der hier.« Umut zeigte auf den Boden. »Ein Geschenk von meinem Lehrer, der ihn mir gab, als ich nach Deutschland ging. Er ist sehr alt. Ich hoffe, der Tee tut deinem Magen gut. Trink.«
    War das Zeug vergiftet? Mario blieb nichts anderes übrig, als das Beste zu hoffen und noch einen vorsichtigen Schluck zu nehmen. Er schmeckte jedenfalls nicht auffällig. Das und Umuts verhältnismäßige Freundlichkeit beruhigten ihn etwas.
    Â»Wir beide befinden uns in einer schwierigen Lage«, erklärte Umut nun mit staatstragender Stimme. Dass seine weitere Ansprache sich hauptsächlich auf Würste bezog, gab dem Ganzen eine unfreiwillig komische Note.
    Mario war plötzlich froh, dass er vorher auf den Joint verzichtet hatte. Sonst hätte er jetzt wahrscheinlich lauthals losgelacht.
    Â»Ich möchte meine Sucuk zurück«, sagte Umut gedehnt und schaute Mario tief in die Augen.
    Der räusperte sich und versuchte, aus den Augenwinkeln einen Blick auf den Neffen zu werfen, um einzuschätzen, ob er jetzt sprechen durfte. »Vielleicht gibt es in den Sachen irgendwelche Hinweise, wem der Koffer gehört. Dann könnte man ihn zurücktauschen. Genau.«
    Umut nickte bedächtig. »Gibt es in dem richtigen Koffer irgendwelche Hinweise?«
    Â»Nein. Ich habe alles doppelt überprüft. Gar nichts. Genau, wie Jussef es mir eingebläut hat.«
    Â»Jussef ist ein guter Mann. Ich kenne ihn, seit er zehn Jahre alt war. Du solltest immer auf das hören, was Jussef dir sagt. Keine Hinweise heißt«, folgerte Umut, »dass egal, wer den Koffer jetzt hat, derjenige keine Ahnung hat, wem er gehört. Das ist gut.«
    Â»Das ist gut und schlecht, Onkel«, sagte der Typ im Anzug,
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