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Salamitaktik

Salamitaktik

Titel: Salamitaktik
Autoren: Ralf H. Dorweiler
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wach genug war. Er schlief wieder ein.
    Als er diesmal wieder aufwachte, schmerzte sein Nacken. Irgendetwas war anders. Der Bus fuhr nicht mehr. Die Stimmen der Frauen hinter ihm waren lauthals lachenden Männern gewichen. Neue Fahrgäste drängten herein. Mario rieb sich die Augen und schaute nach draußen. Auf dem Schild an der Haltestelle stand »Frankfurt am Main«. Er sprang erschrocken auf und drückte sich gehetzt an den noch im Gang befindlichen Passagieren vorbei.
    Â»Hey, ich muss noch raus!«, rief er, als er bemerkte, dass auch der letzte Wartende bereits einstieg. Der Busfahrer schaute nur gelangweilt zu ihm und winkte bestätigend. Mario sprang die drei Stufen herunter, wo zum Glück noch der Steward des Fernbusunternehmens stand und gerade die Ladeluke schloss. »Stopp, bitte, ich brauche meinen Koffer.«
    Â»Der so Wertvolle?«
    Mario nickte gequält.
    Â»Dann aber schnell. Wir müssen weiter.« Der Mann öffnete die Luke erneut. Mario schaute hinein. Natürlich lag sein Koffer jetzt ganz unten unter denen der zugestiegenen Fahrgäste. Er zeigte darauf, und der Mann zog mit einem kurzen, kräftigen Ruck Marios Koffer aus der Lücke. Die beiden anderen, die auf ihm lagerten, fielen gerade herunter, wie wenn man ein Tischtuch wegzieht und alle Gläser stehen bleiben. Es sah aus wie frisch eingeladen.
    Â»Hey, Mann, mit der Nummer könnten Sie im Zirkus auftreten. Also echt, ich würde kommen, um mir das anzuschauen«, meinte Mario bewundernd. »Genau. Danke, Mann. Sie glauben es mir vielleicht nicht, aber Sie haben mir mit diesem Supertrick wahrscheinlich das Leben gerettet.«
    Der Steward lachte, schlug ihm kumpelhaft auf die Schulter und stieg in den Bus, dessen Motor neben Mario laut dröhnend zum Leben erwachte.
    Mario stand etwas benommen da und hielt den wertvollen Koffer fest. Er hatte noch eine knappe Stunde Zeit, bis er seine Fracht abliefern musste.
    Langsam zog er den Koffer hinter sich her. Die Rollen gaben lustige Geräusche von sich, wenn sie über Kanten sprangen. Er war kurz versucht, sich eine stille Ecke zu suchen, um noch einen Joint zu drehen, aber auf der anderen Seite würde es sicher nicht schaden, einen zumindest etwas klaren Kopf zu bewahren. Er überquerte die breite Straße vor dem Hauptbahnhof und fand sich sogleich in einer Menschenmenge auf der Kaiserstraße wieder. Männer in feinen Anzügen und Frauen in schicken Kostümen hetzten achtlos zwischen heruntergekommenen Gestalten und ganz normal aussehenden Leuten hindurch. Ein besonders schäbig aussehender Penner saß mit seinem aus drei übervollen Plastiktüten bestehenden Besitz auf dem Boden, den Rücken an eine Hauswand gelehnt. Auf dem Stück Pappe, das er hochhielt, stand »Hunger«. Mario legte ihm einen Euro in eine wahrscheinlich sauber geleckte ovale Fischkonservendose und hielt auf die linke Straßenseite zu, weil er gleich abbiegen musste.
    Er war schon einmal hier gewesen. Seine Premiere als Kurier hatte ihm genug Geld eingebracht, um die dringlichsten Rechnungen zu bezahlen und sich endlich ein paar neue Tageslichtlampen anzuschaffen. Natürlich waren seine Auftraggeber keine Samariter, sondern eher ziemlich krasse Türken, die mit ihren »Geschäften« so wenig auf der Seite des Gesetzes standen wie die italienische oder jede andere Mafia. Aber Mario hatte sich schließlich selbst entschieden, ein Gesetzloser zu werden. Allerdings war er derzeit nur ein kleines Tier, Jussefs Verein hingegen groß genug, um auch die saftigen Früchte ganz oben an den Bäumen abpflücken zu können. Auf jeden Fall war zu vermuten, dass seine Transportware nicht das war, wonach sie aussah. Und dass man damit besser nicht von der Polizei erwischt wurde. Noch ein Grund, nicht am helllichten Tag mitten in Frankfurt einen Joint durchzuziehen. Er konnte um den Bahnhof herum gleich mehrere Streifen ausmachen. Wahrscheinlich waren außerdem einige Bullen in Zivil unterwegs.
    Mario bog in die Moselstraße, um gleich darauf an einem mit zahlreichen, nach drinnen zeigenden Pfeilen verzierten Sexclub rechts in die Taunusstraße abzubiegen. Zwischen zwei anderen Nachtclubs befand sich dort der winzige, wenig einladend aussehende »Istanbul-Grill«, der laut der von Abgasen geschwärzten Anzeigetafel grammatisch ziemlich unkorrekt »Döner und Türkischen Spezialitäten« anbot.
    Im Laden stand ein Mann
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