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Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender

Titel: Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
Autoren: Berte Bratt
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die Kieler Universitätsklinik in die Diätküche kam. Von dem „Haustochter-Gnädige-Verhältnis“ war nicht viel übriggeblieben.
    Daraus war eine herzliche Freundschaft geworden. Nachdem Senta geheiratet hatte und ihre Ausbildung vollendete, während ihr Mann den Doktor machte, war sie oft zu Gast bei Frau von Waldenburg gewesen, und sie hatte mir von den urgemütlichen Donnerstagabenden erzählt.
    Damals kamen jeden Donnerstag drei junge Studentinnen - Frau von Waldenburgs Patentochter mit zwei Freundinnen - zu einem feudalen Essen, das sie „am Leben hielt bis zum nächsten Donnerstag“, wie Senta sich ausgedrückt hatte.
    Sonst wußte ich von Frau von Waldenburg, daß sie zwei Hausgenossinnen hatte: ihre Cousine, Studienrätin Frau Isa Neuberger, und dann das Wesentlichste und Wichtigste: die Hündin Bicky, ein kleiner Pudelmischling, der sich der Tatsache rühmen konnte, der verwöhnteste Hund in Deutschland zu sein.
    „Mensch!“ rief Senta ohne die Augen vom Brief zu nehmen. Und gleich nachher: „Jetzt schlägt’s aber dreizehn!“ (das kam alles auf deutsch, ich habe mir die Ausdrücke genauestens gemerkt) und dann zuletzt: „Jetzt werd ich aber postwendend verrückt!“
    So sah sie auch aus. Als sie den Brief gelesen hatte, starrte sie mich mit kugelrunden Augen an.
    „Heidi. du mußt. du kannst. kannst du dir denken. ach was, lies den Brief selbst, in diesem Fall muß ich meine Prinzipien brechen, sonst zeige ich nie einer dritten Person einen Privatbrief. Dies ist aber die große Ausnahme! Lies, aber halt dich fest, daß du nicht vom Hocker runterpurzelst!“
    Jetzt war ich heilfroh, daß ich so viel Deutsch gelesen und schon einen ziemlich großen Wortschatz hatte.
    Ich las.
    Nach einer Minute war ich so in den Brief vertieft, daß ich gar nicht merkte, daß Beate mit Tochter und Enkelchen und einer Teekanne sich ins Wohnzimmer zurückgezogen hatte. Denn was in dem Brief stand.
    „Meine liebe Senta,
    es ist eine Ewigkeit her, seit ich Dir geschrieben habe, und ich habe ein ganz schlechtes Gewissen. Der Himmel weiß, ob ich heut zum Schreiben gekommen wäre, falls ich nicht einen ganz akuten Grund gehabt hätte. Mir ist nämlich eine Idee gekommen, die Idee meines Lebens.
    Sag, Sentalein, kennst du zufällig irgendein norwegisches Mädchen.Ach, Quatsch, so geht es nicht, ich muß ja die Vorgeschichte erzählen und dabei furchtbar weit ausholen! Also, als Dein lieber Brief mit den süßen Bildchen von Deinem Sprößling ankam - innigen Dank, Dein Sohn ist zum Fressen! - konnte ich nicht schreiben, ich hatte mehr um die Ohren als jemals in meinem Leben. Nämlich - halt Dich fest! Ich habe ein Haus gekauft! Ein urkomisches altes Haus, ein Überbleibsel der Jahrhundertwende, aber schrecklich gemütlich. Es hat unmotivierte Treppen, Nischen, wo man es gar nicht erwartet, Türen, wo logischerweise keine Türen sein sollten, „durch Sprossenbildung gewachsen“ sagte der Verkäufer. Er ist ein kinderreicher Vater, der bei jedem neuen Sprößling mehr Raum schaffen mußte, neue Wände einbauen, aus Abstellkammern Schlafkabäuschen machen, im Keller ein großes Spielzimmer einrichten usw. Nun sind die vielen Kinder erwachsen und ausgeflogen, der Kinderreiche mit Frau sehnte sich nach einer kleinen, modernen Wohnung - und so kam es also. Ich habe mich in das ulkige Haus restlos verliebt, und dann liegt es in einer herrlich ruhigen Gegend, natürlich viel zu weit vom Kaufmann entfernt, aber ich habe ja mein Autochen. Und das Allerschönste: Einen großen Garten gibt es, wo Bicky rumtoben kann, was sie sichtlich genießt! Nur gehen unsere Meinungen in einem Punkt auseinander, nämlich was Jagd auf Wildkaninchen betrifft. Derer gibt es zu Hunderten in der Gegend, und Bickys fünfzig Prozent Terrierblut machen sich stark geltend.
    Na, über das Haus erzähle ich ein andermal mehr - oder du kommst bei der ersten Gelegenheit und guckst es Dir an, Du ahnst ja nicht, was ich alles an Fremdenzimmern und Gästebetten aufweisen kann!
    Vor zwei Monaten sind wir dann eingezogen, Isa und Bicky und ich, Isa war genauso begeistert wie ich. Wir fingen gleich an, aus dem großen Spielzimmer unten einen urgemütlichen Partyraum zu machen, alles war in Butter - dann fiel die Bombe, es war Isa, die sie fallen ließ. Weißt Du was dieses Biest, dieser gemeine Mensch, dieser Quadrattottel gemacht hat? Sie hat sich verlobt! Mit fünfundvierzig Jahren! Sie hat leider Gottes einen Jugendfreund wiedergetroffen. Und eine alte
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