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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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sollen. Ganz offen, als rechtmäßige Kriegsbeute.«
    »Der letzte Van Gogh, der öffentlich versteigert wurde, ging für mehr als achtzig Millionen Dollar weg«, sagt sie. »Vier seiner Werke sind noch dort. Der Gesamtwert der restlichen Gemälde liegt in Milliardenhöhe.«
    Währenddessen verhungern in Russland qualvoll Menschen, und alte Soldaten sterben, weil sie keine Medikamente bekommen. Allein der Gedanke daran macht mich rasend. »Was ist mit den ›neu entdeckten‹ Werken?«
    »Vorausgesetzt, sie werden für echt erklärt und es lässt sich rekonstruieren, wem sie gehört haben, sind sie genauso viel wert wie andere qualitativ gleichwertige Kunstwerke desselben Künstlers.«
    »Vorausgesetzt, andere Kunstwerke des Künstlers haben in den letzten fünf Jahrhunderten den Besitzer gewechselt.«
    »Das natürlich vorausgesetzt. Ansonsten ist ihr Wert …« Sie spitzt neckisch die pink geschminkte Unterlippe. »Spekulativ.« Ihr Lächeln strahlt.
    Wir befinden uns auf der Nordroute der Zaren. In goldenen Kutschen glitten sie auf Kufen über den Schnee. Unsere Art zu reisen ist etwas prosaischer, aber Valjas Profil ruft in mir das Bild einer leuchtenden porzellanpuppenartigen Zarin hervor. Sie hat die Beine untergeklemmt und sitzt im Schneidersitz.
    »Und dein Freund meint, dieses Bild ist bekannt, aber verschollen? Keine heimliche Kriegsbeute wie die anderen, sondern wirklich verschollen? Man kann sich also eine Geschichte dafür ausdenken?« Sie guckt skeptisch. Sie ist klug.
    »Er sagt, er hat eine Geschichte. Eine wahre Geschichte, die seinen Wert steigern wird.«
    Sie lässt die Bücher auf den Boden fallen, faltet auf ihrem Schoß ein beiges Fensterleder auseinander und holt eine halbautomatische Ruger Kaliber 22 aus einem Knöchelhalfter. Die Pistole sieht aus wie ein Spielzeug, aber das täuscht. Es ist eine Killerwaffe, für einen Schuss aus nächster Nähe. Sie nimmt sie mit routinierter Leichtigkeit auseinander und schiebt einen Reinigungsstock durch den Lauf.
    »Wir werden sehen«, sagt sie.
     
    Auf halbem Weg nach St. Petersburg wird aus der Leningrader Chaussee wieder die Moskauer Chaussee, die dann für das letzte gerade Stück in die Stadt zum Moskauer Prospekt wird. Verglichen mit Moskau kommt einem St. Petersburg frisch und westlich vor, genau wie Peter der Große es wollte, als er die Stadt vor dreihundert Jahren auf den krummen Rücken und müden Beinen von Leibeigenen und Strafgefangenen am bleigrauen Ende der Ostsee errichten ließ. Es ist nach zehn Uhr abends, aber immer noch hell, als wir durch das dichte Netz von Straßen steuern. Die weißen Nächte sind auf dem Vormarsch gegen die Dunkelheit. Zu dieser Jahreszeit und so weit nördlich verschwindet die Sonne nur für ein paar Stunden ganz. In einem Monat wird die Abend- in die Morgendämmerung übergehen. Unser Treffen ist für Mitternacht im ersten Stock eines Cafés auf der Wassilewskij-Insel mit Blick auf die Newa angesetzt.
    Wir überqueren die Schlossbrücke. Ich parke den Wagen in einer Seitenstraße bei der Universität, gleich neben dem Gebäude, wo Pawlow seine Hunde trainiert hat. Auf der anderen Seite des Flusses sieht man die aneinandergeklebten Gebäude des Winterpalastes und der Eremitage. Der Blick ist eingerahmt von den beiden roten Rostral-Säulen mit ihren dreibeinigen Becken, die vor Jahrhunderten mit Öl gefüllt und angezündet wurden, um den St. Petersburger Hafen zu erleuchten. Gegenüber stößt die Spitze der Peter-und-Paul-Festung in den sich verdunkelnden Himmel.
    Valja saust los und sucht sich einen geeigneten Platz im Café. Ich erkunde die umliegenden Straßen, schiebe mich langsam und absichtlich humpelnd durch Scharen von Studenten, sehe nichts Ungewöhnliches und postiere mich eine Stunde später in einem Souvenirladen mit Blick auf den Eingang des Newa Cafés. Inzwischen ist es fast dunkel, aber das Foyer ist blassgelb beleuchtet.
    Arkadij kommt fünfzehn Minuten zu früh. Er ist in den fünf Jahren, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, gealtert. Der Wind weht durch sein schütteres blondes Haar und bringt einen zurückgehenden Haaransatz zum Vorschein. Er ist immer noch dünn, aber die kleine Wampe über dem Gürtel verleiht ihm etwas Spinnenhaftes.
    Vor der Tür bleibt er kurz stehen und sieht sich um. Er kennt mich, er weiß, dass ich ihn von irgendwo aus beobachte, aber er gibt sich keine große Mühe und geht hinein. Nach ihm kommen innerhalb der nächsten Viertelstunde eine zerknautschte Babuschka
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