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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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gegenüber vom Parlamentsgebäude, und hab auf dich gewartet. Ich hab gesehen, wie sie auf die Scheibe schossen. Ich dachte, du wärst tot.«
    Mein Engel. Weil sie mich nicht hat schützen können, zieht sie gleich los und will Rache üben. »Und davor?«
    Ihre Lider senken sich und verbergen die wasserblauen Augen. Sie mag keine Ausflüchte. »Bei ihr.«
    Jetzt ist es an mir, die Augen zu schließen, als könne das den Gedanken an die heimliche Geliebte auslöschen - eine Frau, mit der ich anscheinend nicht konkurrieren kann, jedenfalls nicht, was die wichtigen Dinge angeht. Ich wende den Blick ab.
    Die kunstvoll bemalten Teile einer Matroschka , einer russischen Steckpuppe, liegen in gedämpftem Licht auf einer Fensterbank. Ich sehe durch sie hindurch, ohne ihre makellose Schönheit wahrzunehmen, die sorgfältige, Monate lange Arbeit eines namenlosen Künstlers.
    Was ich von Kunst verstehe? Ich weiß, dass die schönsten Werke niemand besitzen kann. Sie gehören der ganzen Welt.

4
    Der Mercedes saust mit Valja und mir bei einem steten Tempo von hundertdreißig vorbei an gewaltigen rostroten Stacheln über die Leningrader Chaussee in Richtung Norden. Die Stacheln sind Panzersperren, Denkmäler, die an Hitlers tiefsten Vorstoß erinnern. Russland umarmt seine Invasoren in einer mörderischen Dreiheit von Kugeln, brutaler Kälte und Hunger. Revolutionen, Bürgerkriege, Säuberungen und andere Selbstkasteiungen lichten die Bevölkerung in den Pausen zwischen den Angriffen von außen. Napoleon nahm Moskau ein, bevor seine stark angeschlagene Nachhut den Rückzug nach Polen antrat, aber Hitler wurde hier gestoppt, so scheinen diese Igel zu sagen - bis hierhin und nicht weiter.
    Zwei Tage nach unserem Zusammenstoß mit Gromow fahren wir nach St. Petersburg, um uns mit Arkadij Borodenkow und seinem Maulwurf aus dem Eremitage Museum zu treffen. Das letzte Mal, dass ich Arkadij gesehen habe, ist fünf Jahre her, als er unsere alte Freundschaft und gemeinsame Waisenlaufbahn dafür bemühte, mich um eine kleinere Summe anzuhauen, die er nie zurückgezahlt hat.
    »Vierundsiebzig Kunstwerke.« Valja liest aus einem Buch namens Verschollene Meisterwerke , das sie einem Straßenverkäufer abgekauft hat. Auf ihrem Schoß liegen weitere Bücher und ein Personenverzeichnis des Eremitage Museums.
    Ich habe beschlossen, ihren letzten Besuch bei ihrer namenlosen Freundin zu vergessen. Darüber reden zu wollen, hat in der Vergangenheit zu nichts geführt. Mein Widerwille, dieses Problem genauso direkt anzugehen wie andere, ist wahrscheinlich eine ganz spezielle Art von Feigheit.
    »Von Cézanne, Degas, Monet, Pissarro, Renoir, Gauguin, Van Gogh, Toulouse-Lautrec und vielen anderen«, sagt sie und überfliegt Seiten voller Abbildungen. »Nach dem Ende der Weimarer Republik von russischen Kunsthistorikern und Soldaten eingesammelt, in die Eremitage und ins Puschkin Museum der Künste verschifft und dort gelagert, während Russland nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde. Ein halbes Jahrhundert lang verleugnet. Die Deutschen wollen sie zurück. Die Russen erinnern daran, dass die Nazis nicht nur eine vorsätzliche Politik des Räuberns und Plünderns betrieben, sondern auch die totale kulturelle Auslöschung der …«
    Mit einer Handbewegung schneide ich ihr das Wort ab. Wir sind seit drei Jahren im Geschäft und wissen das alles. Fünfundachtzig Kunstwerke wurden nach dem Krieg verzeichnet, nicht vierundsiebzig. Elf davon verschwanden mit Hilfe des Generals aus der Eremitage, um wie durch Zauberhand in einem staubigen Lagerhaus wieder aufzutauchen, oder in der Dachkammer einer hundertjährigen Französin, die behauptet, Van Goghs Geliebte gewesen zu sein, oder an irgendeinem anderen glaubwürdigen, wenn auch unwahrscheinlichen Ort. Sie alle wurden für Millionen von Francs, Pfund oder Dollar versteigert.
    »Ich wollte dich ein bisschen weiterbilden, Alexei«, sagt sie und lacht wie ein kleines Mädchen. Heute verleihen ein Paar neue Kontaktlinsen ihren Augen die Farbe von brennendem Kupfer.
    Immer spärlichere Bestände von Hängebirken, Pappeln und Eichen ziehen an uns vorbei und weichen der öden, ausgeblichenen Tundra und der nördlichen Taiga. Wolken stehen vor der Nachmittagssonne. Es herrscht kaum Verkehr. Ich jage den Mercedes auf hundertfünfzig Stundenkilometer hoch, vierzig mehr als erlaubt. Eigentlich müssten wir die Strecke in weniger als zehn Stunden schaffen. »Westkunst«, sage ich abschätzig. »Wir hätten alles verkaufen
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