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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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mitgearbeitet. Das an der Wand des Refektoriums«, ergänzt er teilnahmslos, als könne es auch an jedem anderen Ort hängen, und schielt dann zu mir herüber, womöglich um erneut meine Reaktion zu testen.
    Ich starre unbewegt zurück.
    »Ich kenne mich also aus mit Da Vinci«, wiederholt er. »Das Œuvre des Meisters durchdringt das Wesen dieses Bildes. Der Kontrast von hell und dunkel, der Pinselstrich, die Symbolik, die Ähnlichkeit mit den Skizzen - ich habe mich seit einem Jahr mit kaum etwas anderem beschäftigt. Ich weiß es einfach.«
    Ich nicht, und genau wie Valja bin ich skeptisch. »Wie kommt es, dass sonst niemand im Museum von seiner Existenz weiß?«
    Er plustert die knochige Brust auf und streicht sich geistesabwesend mit den Fingern über den Rücken der anderen Hand. Arkadij legt eine Hand auf Lipmans Knie, aber der zuckt deutlich irritiert zurück.
    »Ich habe es bei einer routinemäßigen Restaurierung entdeckt. Unter einem zweitklassigen Gemälde von Pierre Mignard. Für heutige Standards nicht sehr professionell gemacht, für damalige Verhältnisse aber ausgezeichnet. Der Mignard war vergleichsweise gut erhalten, auch wenn er nicht ausgestellt war, und somit auch Leda und der Schwan .«
    Dies ist das erste Mal, dass er das Bild beim Namen nennt. »Seit wann ist es verschollen?«
    »Sechzehnhundertfünfundneunzig.«
    »Woher …?«
    Er hebt die Hand. »Zuletzt wurde es 1694 als Bestand der Königlichen Sammlung im französischen Fontainebleau aufgenommen. Soviel ist über seine Herkunft bekannt. 1700 wurde eine Anzahl unersetzlicher Werke im Auftrag von Madame de Maintenon, der Geliebten Ludwig XIV, verbrannt. Viele glauben bis heute, dass Leda und der Schwan darunter war, obwohl es nicht offiziell aufgelistet wurde.«
    Er nimmt einen Schluck Tee. Stellt die Tasse beiseite, verschränkt seine Arme und schaukelt leicht vor und zurück. »Jetzt wissen wir warum - weil es schon nicht mehr Teil der Sammlung war.« Er legt eine dramaturgische Pause ein. »Hinter Ledas Rahmen habe ich das hier gefunden.«
    Er sieht sich angestrengt im Café um, bevor er langsam ein vergilbtes Dokument in einem Plastikumschlag aus seiner Kuriertasche zieht und es mir über den Tisch zuschiebt. Das Dokument ist in französischer Sprache verfasst. Wie ich sehe, freut es ihn, dass ich kein Französisch lesen kann.
    »Es ist eine Übertragungsurkunde aus dem Fontainebleau«, verrät er. »Eine Faktura könnte man es vielleicht nennen.« Mit zittrigem Finger zeigt er auf ein kaum entzifferbares Datum aus schwungvoll geschriebenen Zahlen und Buchstaben. »Datiert am 5. Juli 1695, fünf Jahre, bevor Madame die Verbrennungen anordnete.«
    »Diese Stadt hier existierte damals noch gar nicht.«
    »Nein. Leda kam erst später nach St. Petersburg, bereits hinter dem Mignard versteckt, nachdem sein Besitzer im Neujungfrauenkloster gestorben war. So jedenfalls nehme ich an, muss es gewesen sein.«
    »Wer war sein Besitzer?«
    Sein Finger zeigt auf einen Namen in derselben geschwungenen Schrift.
    »Prinzessin Sofia Alexejewna. Die Schwester Peters des Großen. Die Frau, die als junges Mädchen das Russische Reich regierte. Die Frau, die Peter auf Lebenszeit ins Neujungfrauenkloster verbannte.«
     
    Später am Nachmittag mietet Arkadij ein fünfeinhalb Meter langes Motorboot. Ich steuere den glatten Rumpf durch die Kanäle St. Petersburgs bis in die raueren Gewässer der Newa, vorbei an einem Polizeiboot und einer Touristenbarkasse. Sturmwolken werfen Schatten auf den Fluss und entstellen seinen silbernen Glanz.
    Wir gleiten westwärts, vorbei an der Eremitage, kaum schneller als im Leerlauf, während Lipman erklärt, wie wir hineinkommen, und uns auf den schmalen Kanal hinweist, den wir heute vom Flur aus gesehen haben. Er guckt konzentriert, angespannt, unempfänglich für Arkadijs schwärmerischen Blick. Den alten Plänen zufolge, die Lipman in den verstaubten Ordnern des technischen Büros ausgegraben hat, führt ein Fallgitter auf dem Grund des Kanals zu einem Labyrinth von Katakomben, das zu Zeiten Peter des Großen erbaut wurde und heute unter Wasser steht.
    Als er fertig ist, reiße ich das Steuer herum und jage den Motor hoch. Der Bug taucht auf und spritzt verschmutztes Wasser in unsere ungeschützten Gesichter. Die beiden kleben wortlos in den Holzsitzen, während ich zurück zum Anleger steuere und die Möglichkeiten abwäge.
     
    Ohne lange nachzudenken entdecke ich zu viele Haken an seinem Plan. Was mich noch später am
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