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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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Abend und bis in den Morgen hinein am meisten beschäftigt, ist, dass es sowohl für Arkadij als auch für seinen Liebhaber eine Nummer zu groß ist.
    »Die ganze Geschichte ist zu undurchsichtig«, sagt Valja, meine innere Stimme bestätigend.
    Sie liegt zusammengerollt in meinen Armen, weich wie Samt in der angenehm kühlen Dunkelheit des Zimmers im dritten Stock, das wir gemietet haben, zwei Straßen vom Newskij Prospekt entfernt und einen Katzensprung von einer Lutherischen Kirche, die wie durch ein Wunder die Bombenangriffe der Nazis überstanden hat.
    Die alte Frau, die das Zimmer vermietet, hat uns hundert Rubel dafür abgenommen, ungefähr drei Dollar. Sie hat das Geld mit Tränen in den Augen entgegengenommen, und als wir in das grün-blaue Zimmer kamen, wussten wir sofort warum. Dieser Raum ist der Schrein für einen verlorenen Sohn, er wurde nicht mehr verändert seit der Zeit, als er sich für Kosmonauten, Plastikdinosaurier und einen honiggelben Bären begeisterte. Ich frage mich, ob er tot oder abgehauen ist. Schließlich entscheide ich, dass er tot sein muss, weil wohl niemand eine solche Liebe freiwillig aufgeben würde.
    »Das sind Amateure«, sage ich. »Am Ende bleibt alles an mir hängen.«
    »Wir brauchen mehr Leute. Nabi und die anderen werden dort gebraucht, wo sie sind, und für diese Art von Job sind sie sowieso nicht geeignet.«
    Mit beidem hat sie recht. Wie ich die Sache einschätze, brauchen wir mindestens noch zwei Männer. Und Nabi Souworow, mein Stellvertreter, ist besser damit betraut, mein kleines Imperium am Laufen zu halten, vor allem weil seine Augen in letzter Zeit zu flackern angefangen haben, so wie die der armen verlorenen Seelen, die nach der Crackpfeife lechzen. Nabis Drogenabhängigkeit ist ein Problem, das ich in Angriff nehmen muss, und zwar bald, aber bis dahin ist er kein guter Kandidat für einen Coup wie diesen.
    Das Nokia vibriert. Die Nummer auf dem Display hat eine Moskauer Vorwahl, aber da ich sie nicht zuordnen kann, ignoriere ich das beharrliche Surren.
    »Lass uns zuerst Lipman überprüfen und sehen, ob wir damit weiterkommen. Außerdem müssen wir herausfinden, ob das Bild echt ist und wie viel es wert ist.« Keine leichte Angelegenheit, wenn unser Plan geheim bleiben soll. Ich gehe verschiedene Möglichkeiten durch und entscheide mich schnell dafür, dass Henri Orlan, der Galerist, von dem mir Nigel am Abend der Schießerei im National Club erzählt hat, ein guter Anfang ist.
    Valja seufzt, streckt sich spindeldürr auf dem Bett aus und stützt sich auf die Ellbogen, um aus dem Fenster einen Blick auf die einsame Kirche zu werfen. Ihr runder Hintern wackelt einladend, aber mich lenkt eine andere Schönheit ab.
    »Wenn der Preis stimmt, rede ich mit dem General«, sage ich.
    Sie nickt und sieht weiter aus dem Fenster. Ein rotes Licht blinkt auf meinem Nokia. Sie kaut auf einem Fingernagel, während ich meine Nachricht abhöre.
    »Du hast mich verarscht, Volk!« Maxim Abdullajews Stimme auf der Mailbox knurrt meinen Namen wie einen kehligen Fluch. »Gromow heult wie ein Mädchen. Und was ist in Leningrad los?« Fast zwei Jahrzehnte sind seit dem Fall der Mauer vergangen, aber Maxim hat sich noch nicht daran gewöhnt, dass die Stadt Peters des Großen wieder ihren alten Namen trägt. »Was immer du am Laufen hast, ich steige ein«, bellt er und legt auf.
    Valja starrt noch immer aus dem Fenster. Ich lege mich ausgestreckt zu ihr und stütze mich auf meine Ellbogen, wie ihr größerer Schatten. Es ist kurz nach fünf Uhr morgens. Vormorgendlicher Nebel taucht die Kirche in ein körniges Schwarz-Weiß mit einem Hauch von kränklichem Blau.
    »Wir müssen mit Maxim reden«, sage ich.
    Bei dem Namen schaudert es sie. »Warum?«, fragt sie, ohne mich anzusehen.
    »Er ist sauer wegen der Sache mit Gromow.« Ich denke noch mal über den Klang seiner Worte nach und verbessere mich: »Zumindest tut er so, als wäre er deswegen wütend. Er weiß, dass hier irgendetwas vor sich geht, und er will mit einsteigen.«
    »Wie konnte er das wissen?«
    Woher Maxim etwas davon weiß? »Keine Ahnung.«
    »Er ist ein Almasty «, sagt sie. Ein Yeti, halb Mensch, halb Affe. Einer von vielen Mythen, mit denen russischen Kindern abends vor dem Schlafengehen Angst eingejagt wird.
    Mein wachsender Verdacht, dass langsam alles außer Kontrolle gerät, gefällt mir nicht. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte das Ruder fest in der Hand und im nächsten Augenblick stehe ich mitten im
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