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Wo du nicht bist, kann ich nicht sein

Wo du nicht bist, kann ich nicht sein

Titel: Wo du nicht bist, kann ich nicht sein
Autoren: Gina Blaxill
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Jonathan
    Sonntag, 26. Oktober, 10.45 Uhr
    Wir wurden in den Warteraum der Polizeiwache gebeten. Mum und Dad setzten sich, aber ich blieb stehen. Abgesehen davon, dass ich mir Sorgen machte, war ich wütend … auf mich. Seit Samstag, dem 18., war Freya verschwunden, ganze acht Tage, und ich Blödmann hatte eine Woche lang keine Vermisstenanzeige aufgegeben, weil ich gedacht hatte, ich könnte Detektiv spielen. Was war ich bloß für ein Idiot gewesen! Hier ging es nicht mehr um uns. Wenn Freya entführt worden war, konnte ein Tag entscheidend sein, und wenn sie jetzt tot war, dann hätte ich daran Schuld.
    Ich schaute meine Eltern an und fragte mich, wie sie es schafften, so ruhig zu bleiben. Einen Moment lang stellte ich mir vor, wie die beiden auf jemanden wirken mussten, der gerade den Raum betrat. Dad, breitschultrig, bärtig, Typ Naturbursche, in Jeans und Pullover, mit einer Schirmmütze, die schon bessere Tage gesehen hatte. Er hätte bestens auf einen Bauernhof gepasst. Mum, älter als die meisten Mütter meiner Klassenkameraden, ordentlich, aber einfach gekleidet, volle rote Haare, ungeschminkt und bis auf ihren Ehering auch ungeschmückt. Sie trug ihren besten Mantel, aber irgendwie wirkte er schäbig in dem hell erleuchteten Raum.
    Und ich? Ein Fremder hätte einen mageren Sechzehnjährigen gesehen, einen Brillenträger, der größer war als seine Eltern, ruhig und zurückhaltend, keiner von der Sorte, die auf Polizeiwachen geschleift werden. Mir gelang es weniger gut als Mum und Dad, meine Gefühle nicht zu zeigen. Ein Fremder würde mich vielleicht für angespannt halten, für aufgebracht … vielleicht sogar für schuldig.
    Normalerweise bereitete Mum sonntags um diese Zeit einen Braten zu und, wenn wir Glück hatten, vielleicht Crumble und Vanillesoße. Verwandte oder Nachbarn schauten rein, und wenn es kalt war, sorgte Dad dafür, dass ein Feuer im Kamin brannte. Plötzlich wünschte ich mir nichts mehr, als endlich nach Hause zu gehen, zurück in diese sichere Welt, in der ich wieder ein normaler Jugendlicher sein konnte. Es war so ein surreales Gefühl, in diesem weißen, fensterlosen Raum zu stehen und Teil von etwas zu sein, von dem man sonst nur in der Zeitung las.
    Â»Warum will die Polizei noch mal mit mir sprechen?« Ich schlug mit den Hacken gegen die Wand. »Ich hab doch gestern schon alles erzählt. Die sollten jetzt nach Freya suchen und nicht noch mehr Fragen stellen.«
    Â»Das werden wir schon früh genug erfahren«, sagte Dad. »Kein Grund, nervös zu werden.«
    Aber ich war nervös. Und als wir in den Verhörraum gewiesen wurden und Detective Inspector Shaw und Detective Sergeant Turner auftauchten, begriff ich, dass ich allen Grund dazu hatte. Shaw hatte die Augenbrauen zusammengezogen und runzelte die Stirn, ihre Haare hatte sie zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden, damit ja kein Zweifel darüber aufkam, dass es jetzt zur Sache gehen würde. Turner, der etwa zehn Jahre jünger war als sie und sie um gut fünfzehn Zentimeter überragte, lächelte auch nicht. Sie hatten noch einen Mann dabei, den Shaw als DS Young vom Richmond CID vorstellte. Er sah ganz normal aus, hätte der Vater von irgendeinem Bekannten sein können, aber ich wusste, dass seine Anwesenheit nichts Gutes bedeutete.
    Â»Wir führen dieses Verhör durch, Jonathan, weil einige Dinge ans Licht gekommen sind. Ehe wir jedoch weitermachen …«
    Turner räusperte sich. »Du musst nichts sagen. Es könnte sich allerdings als nachteilig für deine Verteidigung erweisen, wenn du bei deiner Befragung etwas nicht angibst, auf das du dich später vor Gericht berufst. Alles, was du sagst, kann als Beweismittel verwendet werden.«
    Ich schaute zu Mum und Dad rüber. Sie wirkten genauso verschreckt, wie ich mich fühlte.
    Â»Was soll das?«, fragte Mum. »Jonathan hat nichts getan.«
    Â»So ist das Prozedere«, sagte Shaw. »Manche Fragen dürfen wir nicht stellen, ohne vorher eine Warnung auszusprechen. Wenn Sie einen Anwalt hinzuziehen möchten, können Sie das tun.«
    Â»Ich glaube nicht, dass das nötig ist«, sagte Mum mit einem Blick zu Dad.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Jonathan hat nichts zu verbergen.«
    Â»Also, Jonathan«, sagte Shaw, »wir haben das Haus von Freyas Tante gründlich untersucht. Wie ich gehört habe, hat Freya dort seit
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