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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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Der Gesinnungswandel des Kronprinzen kam zu spät.
Die Zerstörung von Fatehpur Sikri hatte begonnen. Früh
am nächsten Morgen stieg panischer Lärm zu den
Schlafgemächern des Herrschers auf, und kaum hatte
dieser sich den Hügel hinab, durch den Tumult am Wasserwerk und die noch lautere Kakophonie in der Karawanserei tragen lassen, sah er, dass etwas mit dem See
vor sich ging. Langsam, von Minute zu Minute, gleichsam im Schritttempo, zog sich das Wasser zurück. Er ließ
die füh-renden Ingenieure der Stadt kommen, doch vermochten sie das Phänomen nicht zu erklären. «Der See
verlässt uns», schrien die Menschen, der goldene, Leben
spendende See, den einst ein zur Dämmerung eintreffender Reisender für einen See aus geschmolzenem Gold
gehalten hatte. Ohne den See würden die Eisblöcke dem
Palast kein frisches Gebirgswasser liefern. Ohne den See
würden die Bürger der Stadt, die sich kein Eis aus Kaschmir leisten konnten, nichts zu trinken haben, nichts
zum Waschen, nichts zum Kochen, und ihre Kinder würden bald sterben. Ohne den See war die Stadt nur eine
dürre, welke Hülse. Das Wasser lief immer weiter ab.
Der Tod des Sees war auch das Ende von Sikri.
Ohne Wasser sind wir nichts. Selbst ein Herrscher würde
ohne Wasser alsbald zu Staub zerfallen. Wasser ist der
wahre Monarch, und wir sind seine Sklaven.
«Evakuiert die Stadt», befahl der Herrscher Akbar.
    Für den Rest seines Lebens sollte der Herrscher glauben,
das unerklärliche Verschwinden des Sees von Fatehpur
Sikri sei die Tat jenes Fremdlings gewesen, den er zu
Unrecht verschmäht hatte, den er erst wieder an sein
Herz ziehen wollte, als es bereits zu spät gewesen war.
Der Mogul der Liebe hatte Feuer mit Wasser bekämpft
und gewonnen. Es dürfte Akbars verheerendste Niederlage gewesen sein, doch war sie nicht sein Ruin. Moguln
waren auch zuvor schon Nomaden gewesen und konnten
wieder zu Nomaden werden. Die Zeltarmee stand bei
Fuß, jenes Heer der Künstler faltbarer Heimstätten,
zweieinhalbtausend Mann, dazu Kamele und Elefanten,
bereit loszumarschieren, sobald der Befehl kam, und die
Stoffpavillons dort zu errichten, wo er zu ruhen gedachte.
Sein Reich war zu riesig, die Truhen zu prall gefüllt, die
Armee zu stark, um durch einen einzigen Streich vernichtet werden zu können, und sollte es auch ein so mächtiger
Streich wie dieser sein. Im nahen Agra gab es Paläste und
ein Fort, ein weiteres in Labore. Der Reichtum der Moguln war unermesslich. Er musste Sikri verlassen, musste
seine geliebte rote Stadt aus Rauch und Schatten einsam
in einer Gegend zurücklassen, die plötzlich vertrocknet
war, musste sie auf alle Zeit als ein Symbol der Vergänglichkeit hinterlassen, als ein Symbol der Unvermitteltheit,
mit der auch den einflussreichsten Herrscher und machtvollsten Monarchen Änderungen überfallen konnten.
Doch er würde überleben. Metamorphosen zu überstehen, das war es schließlich, was es hieß, Fürst zu sein.
Und als Fürst war er nur ein Bürger an prominenter Stelle, ein in den Rang des nahezu Göttlichen erhobener
Mann, denn auch das gehörte zum Menschsein: Metamorphosen zu überstehen und weiterzumachen. Der Hof
würde fortziehen, und viele Diener, viele Edelleute würden mitkommen, nur für die Bauern war kein Platz in
jener letzten Karawane, die je die Karawanserei verlassen
sollte. Den Bauern blieb nur, was sie schon immer gehabt
hatten: nichts. Sie würden sich im riesigen Hindustan in
alle Himmelsrichtungen verstreuen, und ihr Überleben
war allein ihre Angelegenheit. Und trotzdem erheben sie
sich nicht~ um uns niederzumetzeln, dachte der Herrscher. Sie finden sich mit ihrem armseligen Los ab. Wieso nur? Wieso? Sie sehen doch, wie wir sie im Stich lassen, und dienen uns immer noch. Auch dies bleibt ein
Rätsel.
Es dauerte zwei Tage, den großen Umzug vorzubereiten.
Und für zwei Tage blieb ihnen noch genug Wasser. Am
Ende dieser Zeit war der See leer, und nur eine morastige
Senke zeigte an, wo einst Süßwasser geglitzert hatte.
Noch zwei Tage, und auch der Morast würde staubtrocken und sonnengebacken sein. Am dritten Tag zogen die
königliche Familie und ihre Höflinge auf der Straße nach
Agra davon, der Herrscher aufrecht auf seinem Ross, in
ihren Sänften die kostbar gekleideten Königinnen. Dem
herrschaftlichen Tross folgten die Edelleute, daran
schloss sich die ungeheure Kavalkade der Diener und
Leibeigenen an. Den Abschluss machten die Ochsenkarren, die von den
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