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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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wiedersehen würde, denn wie ein Falke hockte der Tod auf ihrer Schulter, um sie eine Weile
zu begleiten, bis ihn die Ungeduld packte und er vom
Reisen genug hatte.
«Lebt wohl», sagte sie und verschwand ins Weiß. Als
Ceva die Cadolin zu gegebener Zeit nach Fassolo zurückbrachte, machte er den Eindruck, als sei nun auch der
letzte Funke Lebensfreude in ihm auf immer erloschen.
Fast zwei Jahre später hörte Doria von Magellans Entdeckung jener sturmumtosten Meeresenge, durch die Seefahrer, so sie denn Glück hatten, den südlichen Zipfel der
Neuen Welt umrunden konnten. In seinen Albträumen
sah er die schöne Prinzessin mit ihren Gefährten in der
Magellanstraße untergehen, doch sollte während seines
ganzen langen Lebens keine verlässliche Nachricht über
ihren Aufenthaltsort oder ihr Schicksal zu ihm vordringen. Vierundfünfzig Jahre nach dem Tag, an dem die
verschwiegene Prinzessin in Italien Segel gesetzt hatte,
tauchte allerdings ein gelb haariger Galgenstrick, kaum
zwanzig Jahre alt, am Tor der Villa Doria auf und behauptete, ihr Sohn zu sein. Da war Andrea Doria schon
dreizehn Jahre tot, und das Haus gehörte seinem Großneffen Giovanni, Fürst von Melfi und Gründer des großen Hauses derer von Doria, Parnphili und Landi. Falls
Giovanni die Geschichte der verlorenen Prinzessin aus
dem Hause Timur und Temüdschin je gekannt haben
sollte, hatte er sie längst vergessen, weshalb er den zerlumpten Kerl von seiner Tür fortscheuchen ließ. Der junge «Niccolo Antonino Vespucci», so benannt nach den
zwei besten Freunden seines Vaters, machte sich danach
auf, die Welt zu sehen, segelte hierhin und dorthin, mal
als angeheuertes Mitglied der Mannschaft, mal als blinder Passagier, lernte viele Sprachen, eignete sich eine
Reihe von Fertigkeiten an, deren Ausübung nicht immer
im Einklang mit dem Gesetz stand, und hortete einen
eigenen Geschichtenschatz, wilde Erzählungen von seiner Flucht vor den Kannibalen auf Sumatra, von eiergroßen Perlen in Brunei, davon, wie er im Winter vor dem
Großen Türken die Wolga hinauf nach Moskau geflohen
war, wie er in einer bloß von Stricken zusammengehaltenen Dhau das Rote Meer durchquerte, von der Vielmännerei in jenem Teil von Mundus Novus, in dem Frauen
sieben oder acht Ehegatten hatten und es keinem Mann
gestattet war, eine Jungfrau zu heiraten, davon, wie er
unter dem Vorwand, Muslim zu sein, die Pilgerfahrt nach
Mekka angetreten hatte, sowie davon, wie er mit dem
großen Dichter Camöes nahe der Mündung des Mekong
Schiffbruch erlitt und die Lusiaden rettete, indem er die
Blätter mit Camöes’ Gedicht hoch über Wasser hielt,
während er nackt an Land schwamm.
Über sich selbst sagte er den Männern und Frauen, denen
er auf seinen Reisen begegnete, dass seine Geschichte
weit seltsamer als jedes Seemannsgarn sei, doch könne er
sie nur einem einzigen Mann auf Erden anvertrauen, dem
er eines Tages in der Hoffnung gegenübertreten wolle,
dass ihm gegeben werde, was ihm von Rechts wegen
zustehe, und dass er von einem mächtigen Zauber beschützt werde, der jene segnete, die ihm halfen, und verfluchte, wer ihm ein Leid zufügte.
«Schirmherr der Welt, es ist die schlichte Wahrheit, dass
meine Mutter, die Zauberin, auf grund der Unbeständigkeit chronologischer Konditionen in Mundus Novus»,
erzählte er dem Herrscher Akbar am Ufer des Anup Talao, «also auf grund der unsteten Natur der Zeit in besagtem Erdenteil, ihre Jugend beträchtlich zu verlängern
vermochte und wohl an die dreihundert Jahre alt geworden wäre, hätte sie nicht ihr Herz und die Hoffnung verloren, je wieder heimkehren zu können, weshalb sie zuließ, dass eine tödliche Krankheit sie befiel, auf dass sie
sich im Jenseits wenigstens mit den bereits verstorbenen
Familienmitgliedern wiedervereinen konnte. Als sie ihren
letzten Atemzug tat, flog ein Falke durch das Fenster und
hockte sich auf das Totenbett. Das war ihr letzter Zauber,
die Herbeirufung dieses ruhmreichen Vogels von jenseits
des Ozeanischen Meeres in die Neue Welt. Als der Falke
aus dem Fenster flog, wussten wir alle, dass ihre Seele
uns verließ. Zum Zeitpunkt des Todes war ich neunzehneinhalb Jahre alt, doch wie sie dalag, sah sie wie meine
ältere Schwester aus, nicht wie meine Mutter. Vater und
Spiegel waren allerdings normal gealtert. Die Magie von
Qara Köz war nicht mehr stark genug, auch für sie den
temporalen Kräften zu widerstehen, so wie sie auch nicht
mehr stark genug war, die
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