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Runenschild

Titel: Runenschild
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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diesem Land, vielleicht nirgendwo mehr. Dennoch ließen ihn Gwinneths Worte lächeln. Wann immer es eine
Situation auch nur im Entferntesten zuließ, versuchte sie
das Positive in ihr zu sehen. Vielleicht war das einer der
Gründe, aus denen er sie so sehr liebte.
»Jedenfalls sehe ich nirgends Soldaten«, bemerkte er, eigentlich nur, um überhaupt etwas zu sagen. Er hatte keine
Angst vor Soldaten. Der noch immer tobende Krieg gegen
die Pikten band den größten Teil von Artus’ Kräften –
wäre es anders gewesen, hätte er zweifellos schon eine
ganze Armee losgeschickt, um sie zu fangen. So begnügte
sich Artus notgedrungen damit, in fast regelmäßigen Abständen einen seiner Ritter auszuschicken. So grausam
diese unmenschliche Rechnung Lancelot auch erschien: Er
war ziemlich sicher, dass sie nach Bartholomäus’ Tod eine
Atempause hatten.
Und die hatten sie auch dringend nötig. Es war den ganzen Tag über beständig kälter geworden und jetzt, mit
Einbruch der Dämmerung, begann aus dem Schneetreiben
ein regelrechter Schneesturm zu werden, der die Sicht
zusätzlich zu dem schwächer werdenden Licht noch erschwerte. Nicht mehr lange, und es würde vollends dunkel
sein. Und es war schon jetzt so kalt, dass er nur zwischen
zusammengebissenen Zähnen hindurch zu atmen wagte,
weil die Luft wie ein Messer in seine Kehle schnitt.
»Bitten wir den Bauern um ein Nachtlager?«, fragte
Gwinneth.
Obwohl Lancelot im nächsten Moment genau denselben
Vorschlag gemacht hätte, zögerte er zu nicken. Sie befanden sich in Dyfed, nahe der Irland gegenüberliegenden
Küste, und vermutlich hatten die meisten Menschen hier
den Namen Camelot noch nicht einmal gehört. Außerdem
brannte in dem großen, strohgedeckten Haus dort unten
bereits Licht, dessen warmer gelber Schein sie die beißende Kälte doppelt spüren ließ.
Alles machte einen durch und durch friedlichen und einladenden Eindruck. Aber er hatte kein gutes Gefühl, und
Lancelot hatte gelernt auf seine Gefühle zu hören.
Sie hatten ihm und Gwinneth mehr als nur einmal das
Leben gerettet.
Andererseits jagte ihm die bloße Vorstellung, in diesem
unbekannten, eisigen und vom Sturm durchtosten Wald zu
übernachten, einen Schauer des Entsetzens über den Rükken. Sie hatten nicht besonders viel davon, wenn sie Artus’ Schergen entkamen, um dann zu erfrieren.
Dennoch sah er sich noch einen Moment lang nachdenklich um und deutete dann fast wahllos auf den dunkel daliegenden Wald zur Linken. »Wir verstecken das Einhorn
und dein Pferd dort. Und meine Rüstung auch. Die Leute
dort unten werden einem bewaffneten Ritter zwar eher
Obdach gewähren als zwei einfachen Reisenden, aber sie
werden sich ganz bestimmt auch eher an ihn erinnern.«
Gwinneth nickte wortlos. Was solcherlei Entscheidungen anging, widersprach sie Lancelot fast nie – obwohl er
manchmal das Gefühl hatte, dass sie sie nicht immer billigte und es vielleicht das eine oder andere Mal auch besser gewesen wäre, wenn sie ihn auf einen Denkfehler aufmerksam gemacht hätte. Sie ritten die wenigen Schritte
zum Waldrand zurück und Gwinneth führte ihren Schimmel ein gutes Stück weit ins Dickicht hinein, bevor sie ihn
festband, damit er wenigstens vor dem ärgsten Wind geschützt war.
Lancelot dagegen musste sich erst einmal seiner Rüstung
entledigen und die einzelnen Teile dann auf dem Einhorn
verstauen. Als Letztes befestigte er die silberbeschlagene
Scheide mit dem Ritterschwert am Sattelknauf – er hatte
in den letzten Wochen ausschließlich diese Waffe verwendet und nicht die sorgfältig verstaute Elbenklinge, die
er zusammen mit der Rüstung vor langer Zeit auf dem
Grund eines Sees gefunden hatte.
Um das Einhorn musste sich Lancelot keine Sorgen machen. Das Geschöpf verschwand zwischen den Bäumen,
kaum dass er sich abgewendet hatte, und er wusste, dass es
am nächsten Morgen zuverlässig wieder auf ihn warten
würde. Sowohl das Einhorn als auch die Rüstung waren
magische Dinge; Bestandteile einer Welt, die ihm fremd
und unheimlich war, obwohl er längst begriffen hatte, dass
auch Gwinneth und er aus ganz genau dieser Welt stammten.
Er zog sich hastig an. Mit den einfachen braunen Sackleinenhosen, den Schnürsandalen und dem groben, aber
halbwegs wärmenden Überwurf – der im Grunde nur eine
Decke war, in die er ein Loch für den Kopf geschnitten
hatte – verwandelte er sich nicht nur äußerlich in Dulac
den Küchenjungen. Mit dem Kleidungswechsel gab er
auch
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