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Runenschild

Titel: Runenschild
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gütigen Macht, und die schwarze Klinge, die Artus’
Herz durchbohrt hatte, war verschwunden. Seine Rüstung
war wieder unversehrt und sauber und schimmerte wie
reines Silber.
Als er erneut hochsah, war auch Morgaine nicht mehr allein. Die Barbarenkrieger, mit deren Hilfe sie eine Welt
hatte erobern wollen, waren verschwunden, doch hinter ihr
erhob sich eine Reihe hünenhafter Krieger in schwarzen,
mit Stacheln und Klingen übersäten Rüstungen. Aber es
ging keine Gefahr mehr von ihnen aus, keine Bedrohung.
Trotz ihrer beeindruckenden Erscheinung und ihrer Größe
wirkten sie unendlich verloren, und obwohl Lancelot ihre
Gesichter hinter den schwarzen Visieren der Helme nicht
erkennen konnte, spürte er die Angst, die die Dunkelelben
erfüllte.
»Und was geschieht jetzt mit mir?«, fragte Morgaine.
»Mit … uns?«
Lancelot stand auf und schloss Gwinneth in die Arme.
Sie zitterte leicht und plötzlich spürte auch er, wie kalt es
trotz der überall noch hochlodernden Feuer auf dem Hof
war, wie eisig der Wind und wie rau diese Welt, in der
auch sie gestrandet waren und aus der es auch für sie kein
Zurück mehr gab. Und trotzdem fühlte er zugleich eine
innere Wärme, wie er sie noch nie zuvor empfunden hatte,
ein Gefühl von Freiheit, das neu und unbeschreiblich war
und das er in seiner ganzen Tiefe noch längst nicht begriffen hatte. Er dachte erneut an die Tir Nan Og zurück, die
Insel der Unsterblichen, das Paradies, das sie durch das
offen stehende Tor unten im Fels gesehen hatten, aber mit
dieser Erinnerung war kein Bedauern verbunden. Gwinneth und er waren vielleicht dort drüben geboren, doch sie
gehörten hierher, auf diese Seite der Wirklichkeit.
»Gwinneth und ich gehen zurück nach Camelot«, sagte
er.
»Und wenn es dir recht ist, begleiten wir dich«, fügte
Sean hinzu, der sich schwer auf sein Schwert gestützt hatte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, aber jetzt
einen unbeholfenen Schritt auf Lancelot zumachte, um
kurz vor ihm schwankend und mit grimmigem Funkeln in
den Augen, wieder stehen zu bleiben. »Das heißt, wenn ihr
zwei irische Dickschädel bei dem gebrauchen könnt, was
auch immer ihr in Camelot vorhabt.«
Lancelot und Gwinneth tauschten einen schnellen Blick
und schließlich nickte Gwinneth leicht und mit der Andeutung eines Lächelns, das gleichermaßen schmerzlich wirkte, wie auch den Keim der Hoffnung auf so etwas wie ein
normales Leben in sich zu tragen schien.
»Ich glaube, es gibt in Camelot ein kleines Gasthaus, das
auf mich als neuen Besitzer wartet, Sean«, sagte Lancelot.
»Solange euch beiden die Arbeit dort nicht zu schwer ist
und euch die Abenteuerlust nicht wieder packt, sollt ihr
dort jederzeit genug zu essen und im Winter einen Schlafplatz am Feuer vorfinden.«
Der Ire starrte ihn eine Weile schweigend an, dann ging
ein entschlossener Ruck durch seinen Körper und er nickte. »So sei es dann. Außerdem können wir dort euch beiden Turteltäubchen im Auge behalten, falls jemand Hand
an euch anzulegen versucht – jetzt wo du kein Zauberschwert mehr führst!«
Mit einem flüchtigen Lächeln und einem Blick, den
wohl nur Gwinneth verstand, fügte Lancelot hinzu: »Und
auf einen kleinen Hund, der auf seinen Herrn wartet und
sich nun nicht mehr durch einen Zaubertrank gestärkt mit
den größten Straßenkötern anlegen kann.«
Morgaine wirkte irritiert, verängstigt. »Dann … dann bin
ich nicht deine Gefangene?«, fragte sie zweifelnd.
»Meine Gefangene?« Lancelot lachte leise. »Was sollte
ein Schankwirt in Camelot wohl mit einer Gefangenen
anfangen, Morgaine?« Er schüttelte den Kopf. »Es ist vorbei. Es gibt keinen Grund mehr für uns, Feinde zu sein.«
Morgaine wirkte so verwirrt und verständnislos, dass sie
ihm fast Leid tat, aber Lancelot – Dulac! – genoss den
Ausdruck von Hilflosigkeit und Verwirrung in ihren Augen noch eine geraume Weile, bevor er sich ein letztes
Mal zu ihr und den Elben umdrehte und mit der freien
Hand auf den toten König vor sich wies. »Er war trotz
allem dein Bruder, Morgaine«, sagte er. »Erweise ihm
einen letzten Liebesdienst. Bring ihn nach Hause.«
ENDE
     
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