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Die Antikriegs-Maschine

Die Antikriegs-Maschine

Titel: Die Antikriegs-Maschine
Autoren: Bob Shaw
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Prolog
     
    Mein Finger liegt leicht auf dem schwarzen Knopf.
    Die Straße vor dem Fenster wirkt ruhig, aber ich lasse mich nicht täuschen – denn mein Tod liegt dort draußen auf der Lauer. Ich hatte geglaubt, darauf vorbereitet zu sein, aber jetzt erfaßt mich eine seltsame Ängstlichkeit. Obwohl ich allen Anspruch auf Leben aufgegeben habe, zögere ich noch, zu sterben. Die einzige mir vertraute Parallele zu dieser Stimmung ist die eines Mannes, der eine schlechte Ehe führt – darüber spreche ich aus Erfahrung – und dem der Mut oder die Energie für einen Ehebruch fehlt. Er starrt eine andere Frau offen und mit aller Kühnheit an und bittet sie innerlich, den ersten Schritt zu tun – denn er bringt ihn trotz allen Verlangens nicht über sich. Auf gleiche Weise zögere ich auf der Schwelle einer der zehntausend Pforten des Todes.
    Mein Finger liegt leicht auf dem schwarzen Knopf.
    Auch der Himmel sieht friedlich aus, aber ich traue diesem Frieden nicht. Irgendwo in diesem winddurchbrausten schiefergrauen Gewölbe kann ein Flugzeug dabei sein, eine Sonne von Menschenhand abzuwerfen; in eben dieser Sekunde kann eine Rakete mit Nuklearsprengkopf die oberen Schichten der Atmosphäre durchdringen. Auf diese Weise würde ich die ganze Stadt mit in den Tod reißen, aber mein Gewissen kann die Last von 70.000 Toten ertragen – solange ich noch Zeit habe, meinen Schwur zu erfüllen, bevor die Feuerkugel in die Höhe wächst und sich ausbreitet.
    Solange ich den schwarzen Knopf drücken kann.
    Mein linker Arm hängt kraftlos herab. Blut rinnt warm über die Handfläche und führt mich in Versuchung, die Faust zu ballen, um mein Leben etwas zu verlängern. Ich finde kein Kugelloch in meinem Jackenärmel – das Gewebe scheint sich wie Vogelgefieder darüber geschlossen zu haben –, was eigenartig ist, aber was verstehe ich schon von solchen Dingen? Wie bin ich, Lucas Hutchman, ein ganz gewöhnlicher Mathematiker, in diese Situation geraten? Es müßte lehrreich sein, die Ereignisse der letzten Wochen zu betrachten, aber ich bin müde und muß darauf achten, mich nicht zu sehr zu entspannen.
    Ich muß bereit bleiben, den schwarzen Knopf zu drücken…

1
    Hutchman nahm das Blatt Papier vom Schreibtisch, sah es an und spürte, daß etwas sehr Merkwürdiges mit seinem Gesicht geschah.
    Das eisige Gefühl begann am Haaransatz und bewegte sich wellenförmig über Stirn, Backen und Kinn. Die jeweils betroffenen Hautpartien kribbelten schmerzhaft, während die Poren sich nacheinander auf eine Weise öffneten und schlossen, die an ein windbewegtes Kornfeld erinnerte. Er griff sich an die Stirn und stellte fest, daß sie schweißnaß war.
    Also kann man doch in kalten Schweiß ausbrechen, dachte er, und sein erschrockener Verstand griff dankbar das Irrelevante auf. Ich habe immer geglaubt, das sei nur eine Redensart.
    Er wischte sich das Gesicht ab und stand dann mit seltsam weichen Knien auf. Das Blatt Papier auf dem Schreibtisch reflektierte Sonnenlicht und schien bösartig zu glühen. Er starrte die dichtgedrängten Zahlenreihen an, die er aufs Papier geworfen hatte, und sein Bewußtsein schreckte vor ihrer Bedeutung zurück. Was für eine merkwürdige Handschrift! Manche Zahlen sind um ein Mehrfaches größer als die übrigen. Das muß doch einen Mangel an Charakter beweisen.
    Vage Farbflecken – lila und safrangelb – bewegten sich hinter der Milchglasscheibe, die ihn von seiner Sekretärin trennte. Er griff hastig nach dem Papier und stopfte es sich in die Jackentasche, aber die Farbflecken kamen nicht auf ihn zu, sondern bewegten sich in Richtung Korridor. Hutchman öffnete die Verbindungstür und sah zu Muriel Burnley hinaus. Sie hatte das mißtrauische, verkniffene Gesicht einer Posthalterin auf dem Lande und eine gar nicht dazu passende üppige, Figur, die sie ständig in Verlegenheit brachte.
    »Gehen Sie weg?« Hutchman stellte die erste Frage, die ihm einfiel, während er sich unbehaglich in ihrem Büro umsah, das zu klein und mit olivgrünen Aktenschränken vollgestellt war. Die Reiseplakate und Pflanzen, mit denen Muriel den Raum dekoriert hatte, betonten diese drangvolle Enge nur um so mehr. Muriel sah irritiert zuerst auf ihre rechte Hand, die auf der Türklinke ruhte, dann auf ihre linke, in der sie eine Kaffeetasse und eine kleine Tafel Schokolade hatte, und schließlich auf die Uhr, die 10.30 zeigte – also die Zeit, zu der Muriel jeden Vormittag mit einer Kollegin Kaffeepause machte. Sie gab keine
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