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Runenschild

Titel: Runenschild
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Halbdunkeln auf sie gewartet zu haben
schien.
»Begrüßt man so alte Freunde?«, fragte Sean müde, als
er drei Schritte vor Lancelot schwankend stehen blieb.
Der Ire sah fürchterlich aus, genauso wie sein Bruder.
Die Augenbrauen und auch die Kopfhaare beider Männer
waren versengt, als wären sie nur mit Mühe einem Feuer
entkommen, und über ihre Arme lief Blut, das vielleicht
von ihren Feinden, vielleicht aber auch von ihnen selbst
stammte; zudem wies Seans Bein kurz oberhalb des Knies
eine klaffende Wunde auf, die so übel aussah, dass es an
ein Wunder grenzte, wie er sich noch aufrecht zu halten
vermochte.
»Sean!«, keuchte Gwinneth, und so wie es aussah wollte
sie zu ihm stürzen um ihm zu helfen. Doch der Ire winkte
rasch ab.
»Uns bleibt keine Zeit mehr«, stieß er schwer atmend
hervor und deutete gleichzeitig hinter sich. »Wir haben
noch etwas zu erledigen. In den Burghof, rasch!«
Wie um seine Worte zu untermalen, stürzte in diesem
Moment irgendetwas mit einem so gewaltigen Getöse zusammen, dass er Gwinneths Einwand – falls es überhaupt
einen gab – übertönte, doch Lancelot gab ihr auch keine
Gelegenheit, ihn in eine weitere hitzige Debatte zu
verstricken oder gar irgendetwas Unbedachtes zu tun, sondern ging mit vorsichtigen, aber auch sehr schnellen
Schritten los.
Das Grauen, auf das er gerade vergeblich gewartet hatte,
holte sie ein, als die nächste Tür durchschritten. Tintagel
brannte lichterloh. Wohin er auch blickte, sah er Flammen
und Rauch, brennendes Holz und Menschen, in Panik
flüchtende Tiere und lodernde Scheiterhaufen.
Helles, flackerndes Licht, das aus hundert verschiedenen
Richtungen zugleich kam, machte es schier unmöglich,
irgendetwas wirklich zu erkennen, trieb ihm aber fast sofort die Tränen in die Augen, und die Schreie der Sterbenden und Verwundeten wuchsen in seinen Ohren zu einem
Chor an, der irgendetwas in ihm zum Zerbrechen zu bringen schien. Es war unmöglich zu sagen, wer Freund und
wer Feind war, wer kämpfte oder einfach floh. Schatten
und ein einziges Chaos aus reiner, kochender Bewegung
waren rings um sie herum. Er sah Metall blitzen, zerberstenden Stein von den Mauerkronen herabregnen und
Männer fallen, von Schwerthieben, Pfeilen oder einfach
einer unsichtbaren Macht niedergestreckt.
Irgendjemand stürmte auf ihn zu, ein Schemen, der ein
Pikte, ein Brite, genauso gut aber auch Artus selbst sein
konnte; er fing den wütenden Schwerthieb des Angreifers
mit einer instinktiven Bewegung des Schildarms ab und
schlug ebenso instinktiv zurück. Er traf, aber er nahm sich
nicht einmal die Zeit, zu sehen, wen er getroffen hatte,
sondern wich rasch einen Schritt rückwärts und zur Seite,
wobei er Gwinneth einfach zurückdrängte, hob den Runenschild schützend über den Kopf und versuchte aus tränenden Augen Einzelheiten zu erkennen.
Das große Haupthaus Tintagels, aber auch die beiden
mächtigen Wehrtürme hatten sich in gigantische Scheiterhaufen verwandelt, in deren Innerem weiße Glut tobte und
deren Hitze so gewaltig war, dass niemand sich ihnen auf
mehr als zwanzig Schritt nähern konnte ohne zu verbrennen. Auch überall auf dem Hof loderten rote und gelbe
Flammen, aber dazwischen wurde gekämpft, an zahllosen
Stellen zugleich und mit ungebrochener Wut. Die Angreifer hatten sich nicht damit zufrieden gegeben, Tintagel in
Brand zu schießen, sondern seine Mauern in einer selbstmörderischen Aktion zugleich gestürmt, und nun schien
hier buchstäblich jeder gegen jeden zu kämpfen.
Lancelot sah zahllose erschlagene Pikten, aber auch nahezu ebenso viele Männer aus Artus’ Heer und eine erschreckend große Anzahl von Opfern, die weder eindeutig
zu der einen noch zur anderen Seite zu gehören schienen,
denn Tod und Feuer hatten alle Unterschiede ausgelöscht
und sie gleichgemacht. Das Schwert in seiner rechten
Hand begann wieder zu zittern, als die Runenklinge die
überreiche Mahlzeit spürte, mit der der Tod den Tisch
gedeckt hatte, doch diesmal gestattete ihr Lancelot nicht,
Gewalt über ihn zu erringen. Das Runenschwert war noch
immer eine furchtbare Waffe, aber er war nicht länger ihr
Sklave.
»Artus!«, schrie Gwinneth hinter ihm.
Lancelot fuhr automatisch herum und starrte sie fragend
an, dann folgte sein Blick der Richtung, in die Patricks
Schwertarm wies, und er sah den Grund für Gwinneths
Aufschrei.
Genau in der Mitte des Hofes, umgeben von einer kleinen Schar seiner tapfersten Ritter, die das
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