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Runenschild

Titel: Runenschild
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Sie brauchen niemanden mehr, der ihr Schicksal lenkt.
Und auch niemanden mehr, der mit ihnen spielt.«
»Frei?« Morgaine lachte bitter, richtete sich ein wenig
auf und sah sich auf dem großen, von Flammen, Verwundeten und Toten übersäten Burghof um. Hier und da wurde noch immer gekämpft, aber die Schlacht erlahmte zusehends und war im Grunde schon vorüber, und was sich
ihnen bot, das war ein Bild des Grauens, wie es jedes
Schlachtfeld darstellt, wenn das Töten vorüber ist.
»Frei?«, wiederholte sie noch einmal. »Frei, sich gegenseitig umzubringen?«
»Es war nicht Artus, der diesen Krieg begonnen hat«, erinnerte Lancelot.
»Aber es wäre der letzte gewesen«, widersprach Morgaine. »Artus und seine närrischen Träume von Freiheit!
Er hätte ihnen die Freiheit gebracht, sich gegenseitig zu
zerfleischen! Dieses Land wird in einem Meer von Blut
ertrinken!«
»Vielleicht«, antwortete Lancelot. »Aber wenn, dann ist
es ihre Entscheidung, Morgaine. Und ich bin davon überzeugt, dass sie es schaffen werden. Sie sind ein junges
Volk, zornig und unbeherrscht und wild, doch sie werden
lernen. Vielleicht gab es einmal eine Zeit, in der die Menschen uns gebraucht haben, um sie zu leiten und zu beschützen, jetzt ist sie vorbei. Diese Welt gehört uns schon
lange nicht mehr. Artus hat es erkannt. Und er hat sein
Leben geopfert, um den Menschen die Freiheit zu schenken.«
Und er hatte noch mehr getan. Lancelot hatte es in seinen Augen gelesen, in jenem letzten, unendlich kurzen
Moment, in dem sich Artus umgedreht und ihn angesehen
hatte. Er hatte gewusst, warum Lancelot zurückgekommen
war, und vermutlich hatte er auch gewusst, was Merlin
ihm gesagt hatte. Dieser Tag des Blutes, in dem nicht nur
Tintagel versunken war, sondern eine ganze Epoche, würde mit dem Tod eines Elben enden, der von der Hand eines anderen Elben herbeigeführt worden war, und dies war
Artus’ letztes Geschenk an Gwinneth und ihn gewesen.
Außer Gwinneth und ihm selbst würde niemand je die
ganze Wahrheit erfahren.
Lancelot war sicher, dass Artus in den Gedanken und
Geschichten der Menschen weiterleben würde, als König
und Beschützer, doch niemand würde je wissen, wie gewaltig das Opfer gewesen war, das er gebracht hatte. Und
das war auch gut so, dachte er. Artus hätte es nicht anders
gewollt.
Er hörte Hufschlag hinter sich, und als er sich umdrehte,
da erblickte er zu seinem Erstaunen nichts anderes als das
Einhorn, das aus Flammen und Rauch auftauchte und in
seiner silbern und weiß schimmernden Schabracke einen
prachtvolleren Anblick denn je bot.
Im ersten Moment verstand er nicht wirklich, was das
Erscheinen des Fabelwesens zu bedeuten hatte, dann aber
begriff er. Er richtete sich auf, ging an den beiden fassungslosen Iren vorbei zu dem Tier hin und streichelte ihm
noch einmal über den stolzen, strahlend weißen Schädel,
dessen armlanges gedrehtes Horn aus Elfenbein nun für
jedermann sichtbar war. Das Tier blickte ihn stumm aus
seinen großen, noch immer so beunruhigend wissenden Augen an und Lancelot verstand die Aufforderung, die
darin geschrieben stand, und nickte. Wortlos trat er einen
Schritt zurück und begann seine Rüstung abzulegen.
Das Allerletzte, was er am Sattelknauf des Einhorns befestigte, war die weiße Lederscheide mit dem Runenschwert. Das Metall fühlte sich nun kalt und schwer in
seiner Hand an, nur noch eine Waffe, die von Meisterhand
geschmiedet war, aber keine Seele mehr hatte. Ihr Blutdurst und die unbezwingbare Kraft, mit der sie ihren Träger erfüllte, waren im gleichen Moment erloschen, in dem
die Verbindung zwischen den Welten unterbrochen worden war. Ebenso wie die magische Rüstung, der Runenschild und auch das Einhorn selbst hatte sie ihre Aufgabe
erfüllt.
Lancelot trat zwei Schritte zurück, und noch bevor er
sich umdrehte um zu Gwinneth und den beiden Iren zurückzukehren, verschwand das Einhorn und mit ihm auch
Rüstung, Schild und Schwert.
Er ging an Gwinneth vorbei, ließ sich noch einmal neben
Artus auf die Knie sinken und erwies ihm einen letzten
Freundschaftsdienst, indem er die Lider über seinen gebrochenen Augen schloss und das Visier seines Helmes
zuklappte. Dann hob er Excalibur auf, legte es dem toten
König auf die Brust und schloss Artus’ Hände um den
Griff der mythischen Waffe. Für einen ganz kurzen Moment glaubte er noch einmal den Geist Merlins zu spüren,
die Präsenz einer unvorstellbar alten, unvorstellbar weisen
und
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