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Runenschild

Titel: Runenschild
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gesicht bettete sie Mordreds enthaupteten Leib in ihren Schoß und schloss die
Augen.
»Was hast du getan?«, flüsterte sie.
Auch Lancelot ließ endlich das Schwert sinken. Plötzlich
fühlte er sich unsagbar müde und ihm war kalt.
Nicht nur Morgaine hatte sich verändert. Er spürte, wie
auch aus ihm etwas wich, eine Kraft, die die ganze Zeit
über da gewesen war, ohne dass er sich ihrer bewusst gewesen wäre, und die es nun nicht mehr gab und die nie
wieder zurückkommen würde. Müde schob er das Schwert
in den Gürtel, löste den Schild vom linken Arm und ließ
ihn zu Boden fallen. Der unzerstörbare Runenschild, dem
keine Gewalt der Welt auch nur einen Kratzer hatte zufügen können, zerbrach wie Glas, als er auf dem Boden aufschlug. Lancelot griff nach oben, zog den Helm ab und
warf auch ihn zu Boden, und auch er zerbarst wie ein Gebilde aus filigranem Kristall, das nur in den Augen seines
Beobachters Bestand gehabt hatte.
Lancelot ging langsam weiter, blieb unmittelbar neben
Artus stehen und ließ sich dann auf die Knie fallen.
Rings um ihn herum hörte die Schlacht auf. Nicht wenige Männer warfen einfach ihre Waffen fort und suchten
ihr Heil in der Flucht, viele ließen von ihren Gegnern ab
und sahen verwirrt und erschrocken zugleich aus, und auf
mehr als nur einem Gesicht erschien ein Ausdruck, als
erwache sein Besitzer aus einem tiefen Schlaf und hätte im
ersten Moment Mühe, sich darauf zu besinnen, wo er war
und was er hier tat. Und auch immer mehr und mehr der
Barbarenkrieger, die mit Morgaine und Mordred gekommen waren, steckten ihre Waffen ein, warfen sie einfach
fort und liefen davon oder sahen ihre Herrin auch verwirrt
und hilflos an.
Lancelot nahm von alledem kaum etwas wahr. Er kniete
da und blickte auf den toten König herab und er versuchte
vergeblich sich über seine eigenen Empfindungen klar zu
werden. Da waren Entsetzen und Schmerz und Kummer,
zweifellos, aber auch etwas Neues, etwas, das zu beschreiben ihm schwer fiel, denn es war ein Gefühl, wie er
es nie zuvor empfunden hatte.
»Warum hast du das getan, du Dummkopf?«, murmelte
Morgaine immer wieder. Ihre Stimme war so leer wie ihre
Augen; wo Kummer und Vorwurf sein sollten, war nur ein
tiefes fassungsloses Entsetzen.
»Weil er es zugelassen hat.«
Nicht nur Morgaine hob den Kopf, als Gwinneths Stimme unmittelbar hinter Lancelot erscholl. Auch er wandte
den Blick und sah zu ihr hoch und er gewahrte in ihren
Augen die gleiche, fast unnatürliche Ruhe, die auch er
empfand. Artus war tot, aber da war etwas an seinem Tod
gewesen, was es leichter machte, ihn zu akzeptieren. Vielleicht weil er einen Sinn gehabt hatte.
Morgaine schwieg. Ihr Gesicht war plötzlich wie aus
Stein gemeißelt und ihre Hände hörten auf über die in
schwarzes Eisen gepanzerten Schultern ihres Sohnes zu
streichen. Auch sie blickte Artus an, doch ihr Blick blieb
nur für einen Moment auf seinem Gesicht haften und glitt
dann weiter, um den Schwertgriff zu suchen, der noch
immer aus seiner Brust ragte. »Das hätte nicht geschehen
dürfen«, flüsterte sie endlich. »Er hätte das nicht tun dürfen. Er hatte kein Recht dazu.«
»Er war der König«, antwortete Gwinneth. »Und es war
seine Entscheidung.«
»Alles zu zerstören?«, fragte Morgaine. »Zu entscheiden, dass …«
»… die Zeit der Alten Götter vorbei ist, Morgaine«, fiel
ihr Gwinneth ins Wort. Sie schüttelte heftig den Kopf, als
Morgaine widersprechen wollte, fuhr aber leiser und mit
einem fast verständnisvollen Lächeln auf den Lippen fort:
»Merlin hat es uns gesagt, Morgaine. Seit es Leben auf
dieser Welt gibt, hat niemals ein Elb einen anderen Elb
getötet.«
»Und solange es Leben auf dieser Welt gibt, hätte das
niemals geschehen dürfen«, fügte Morgaine hinzu. »Die
Strafe wird furchtbar sein. Wisst ihr überhaupt, was er
getan hat?«
»Wenn Elbenblut von Elbenhand vergossen wird«, antwortete Lancelot, »dann wird die Tür zwischen den Welten für alle Zeiten geschlossen.« Das war wörtlich das,
was Merlin ihnen gesagt hatte, seine letzten Worte unten
in der Höhle, die Antwort auf Lancelots Frage und vielleicht der einzige Grund, aus dem er auf sie gewartet hatte.
»Wir können nie wieder zurück«, flüsterte Morgaine.
»Ihr auch nicht. Wir sind für alle Zeiten gefangen in dieser
Welt der …« Sie suchte nach Worten und hob schließlich
nur hilflos die Schultern. »Menschen.«
»Und die Menschen werden frei sein«, sagte Gwinneth.
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