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Runenschild

Titel: Runenschild
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ausgesperrt, doch die hereingewirbelten Schneeflocken tanzten für einen Moment noch
heftiger, als wollten sie dagegen protestieren, dass sie von
ihrem unsichtbaren Verbündeten getrennt worden waren.
Flackernd erloschen zwei weitere Kerzen.
Dulac stampfte ein paarmal mit den Füßen auf, um den
an seinen Schuhsohlen klebenden Schnee loszuwerden,
und registrierte aus den Augenwinkeln, wie Gwinneth die
Kapuze ihres Mantels zurückschlagen wollte, es dann aber
doch nicht tat, sondern stattdessen unauffällig den Kopf
senkte, damit ihr Gesicht im Verborgenen blieb. Dieses
Gasthaus schien ihr so wenig zu gefallen wie ihm.
Sie gingen zu einem der freien Tische und Gwinneth
setzte sich; wie durch Zufall so, dass ihr Gesicht von den
beiden besetzten Tischen abgewandt war. Dulac trat an die
Theke heran und bemühte sich, ein ganz genau dosiertes
verlegenes Lächeln auf sein Gesicht zu zwingen; aber seine Züge waren so steif vor Kälte, dass er selbst spürte, wie
kläglich es misslang.
»Das mit der Tür tut mir Leid«, begann er. »Ich wollte
keinen Ärger machen.«
»Was willst du?«, fragte der Wirt grob. Seine Entschuldigung, begriff Dulac, war ein Fehler gewesen. Der Wirt
gehörte nicht zu der Sorte Menschen, die das Wort Freundlichkeit auch nur kannten.
»Wir wussten nicht, dass das hier ein Gasthaus ist«,
antwortete Dulac. Seine Stimme zitterte hörbar, zwar nur
vor Kälte, aber er verfluchte sich selbst dafür, denn ihm
war natürlich klar, dass sein Gegenüber dieses Zittern als
Schwäche auslegen musste. »Wir haben es für ein Gehöft
gehalten.«
»Das ist es auch immer noch«, antwortete der Wirt. »Es
ist das einzige weit und breit. In manchen Jahren kamen
mehr Reisende, die nach einem Nachtlager fragten, als
Korn auf den Feldern wuchs.«
»Und da habt Ihr Euch gefragt, warum Ihr nicht gleich
zusätzlich ein Gasthaus eröffnet«, vermutete Dulac. Die
Redseligkeit des Dicken war kein Zufall. Er hatte mit dieser kleinen Geschichte klar gemacht, dass es hier nichts
umsonst gab; nicht einmal die Wärme, mit der das prasselnde Kaminfeuer den Raum füllte – ganz zu schweigen
von dem Gestank und dem beißenden Qualm, mit dem das
zu feuchte Holz verbrannte.
»Ganz richtig.« Die trüben Augen des Wirts taxierten
Dulac rasch und geübt und schienen genau zu dem Schluss
zu kommen, den Dulac mit seinem Aussehen erreichen
wollte: Ein Habenichts, von dem nichts zu holen war und
dem die Welt auch nichts zu bieten hatte.
Als er seine Musterung abgeschlossen hatte und sich
Gwinneth zuwenden wollte, sagte Dulac rasch: »Wir brauchen ein Nachtlager. Und etwas zu essen.«
»Und du kannst zahlen?«, fragte der Wirt in einem Ton,
der klar machte, dass er eigentlich mit einem Nein als
Antwort rechnete.
Dulac griff in die Tasche und zog eine der Münzen hervor, die er den toten Rittern abgenommen hatte. Er legte
sie vor sich auf die Theke. Der Wirt ließ sie so schnell
verschwinden, dass Dulac die Bewegung kaum sah, und
deutete dann mit vorgeschobenem Kinn auf den Tisch, an
dem Gwinneth saß.
»Habt ihr Pferde dabei?«
»Eines«, antwortete Dulac.
»Dann könnt ihr es im Stall hinter dem Haus unterbringen«, brummte der Fettsack, »und auch gleich dort schlafen. Jetzt setz dich. Ich bringe euch zu essen.«
Dulac war nicht enttäuscht, im Gegenteil. Sie hatten in
den zurückliegenden Wochen mehr Nächte in Pferdeställen und auf Heuböden verbracht als in richtigen Betten,
und wenn er sich in dieser heruntergekommenen Absteige
umsah, dann konnte er sich durchaus vorstellen, dass der
Stall dem vorzuziehen war, was der Wirt als Gästezimmer
bezeichnete. Er ging zu Gwinneth zurück, setzte sich und
stützte schwer die Ellbogen auf die Tischplatte.
Sofort sprangen ihn Müdigkeit und Schwere an wie zwei
ungleiche Beutejäger, die geduldig auf ihre Chance gewartet hatten. Der Angriff kam so warnungslos, dass Dulac
ihm fast erlegen wäre. Sein Kopf sank nach vorne und er
hätte nur etwas bequemer dasitzen müssen, um vermutlich
auf der Stelle einzuschlafen. So knallte seine Stirn mit
einem schmerzhaften Schlag auf die Tischplatte und Dulac
fuhr so erschrocken hoch, dass er zu allem Überfluss um
ein Haar auch noch vom Stuhl gefallen wäre.
Einer der anderen Gäste lachte schadenfroh. Dulac unterdrückte den Impuls, dem Mann einen wütenden Blick
zuzuwerfen, sondern fuhr sich stattdessen müde mit dem
Handrücken über das Gesicht und wandte sich Gwinneth
zu. Sie hatte ihre Kapuze immer
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