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Runenschild

Titel: Runenschild
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einen Teil der Persönlichkeit des legendären Ritters
Lancelot du Lac auf, um sich danach wieder wie der Küchenjunge vom Hofe König Artus’ zu fühlen.
Nun – vielleicht nicht ganz. Dulac war im Laufe des zurückliegenden Jahres deutlich gealtert. Er war gewachsen
und hatte breitere Schultern bekommen, woran auch die
sicherlich zwanzig Pfund Gewicht nichts änderten, die ihm
Hunger und Entbehrungen in den letzten Monaten abverlangt hatten. Er war kein Kind mehr, sondern ein hochgewachsener, schlanker junger Mann, der deutlich älter
wirkte, als es ihm von den Jahren her zustand. Das hatte
Vor- aber auch Nachteile.
Zwar konnte er jetzt vieles ganz selbstverständlich tun,
was ihm noch vor kurzem verwehrt gewesen war, aber
dafür nahm ihm auch niemand mehr die Rolle des unbedarften Jungen ab, der in einer ihm unverständlichen Welt
auf fremde Hilfe angewiesen war.
Mit Gwinneth verhielt es sich da schon etwas anders.
Trotz der beißenden Kälte, und obwohl er mittlerweile
am ganzen Leib zitterte, wurde Lancelot für einen Moment warm ums Herz, als er sich zu ihr umdrehte. Sie
hüllte sich gerade in einen groben braunen Mantel, der
nicht nur ihre zerbrechliche Gestalt verbarg, sondern auch
das trotz allem noch kostbare Kleid, das sie nun schon seit
Monaten trug. Obwohl sie kränklich aussah und ebenso
abgemagert war wie er selbst, wirkte sie immer noch wie
ein strahlendes Juwel. Das war das Problem mit Gwinneth,
dachte er. Sie konnte sich in Sack und Asche hüllen und
das Gesicht mit Schlamm und das Haar mit Kuhmist beschmieren und eine Stunde in der Jauchegrube baden –
man hätte ihr die Königin immer noch angesehen.
Lancelot überzeugte sich noch einmal davon, dass das
Pferd sicher angebunden war – niemand hätte ihnen geglaubt, dass dieses prachtvolle Schlachtross mit dem kostbaren Zaumzeug ihnen gehörte, sondern sie allenfalls des
Diebstahls bezichtigt, wie Lancelot bereits leidvoll erfahren hatte –, dann half er Gwinneth auf den Rücken des
Packpferds zu steigen und nahm das Tier beim Zügel.
Der Weg, den Hügel hinab und bis zum Bauernhof, war
nicht sehr weit. Dennoch war es vollends dunkel geworden, bis sie das hell erleuchtete Gebäude erreichten, und
der Wind hatte sich endgültig in einen Sturm verwandelt,
der mit unsichtbaren Fäusten am Dach und an den Fensterläden rüttelte und tausend heulende Geisterstimmen mit
sich brachte. Lancelot band das Pony an einen Pfahl vor
dem Eingang, hob Gwinneth kurzerhand aus dem Sattel –
um sie möglichst schnell vor dieser grausamen Kälte in
Sicherheit zu bringen – und trat an die Tür um zu klopfen.
Er bekam keine Antwort, aber er glaubte drinnen Geräusche zu hören. Mit seinen steif gefrorenen Fingern wäre es
zu schmerzhaft gewesen, noch einmal und dazu energischer anzuklopfen, also öffnete er kurz entschlossen die
Tür und trat ein.
Der sich ihm bietende Anblick war so überraschend,
dass er mitten im Schritt innehielt und sich erstaunt umsah. Von weitem hatte die Ansammlung mehr oder weniger heruntergekommener Gebäude tatsächlich wie zu einem Bauernhof zugehörig gewirkt – wegen des immer
heftiger werdenden Schneesturms hatte er danach kaum
noch etwas erkennen können –, aber das Innere dieses
Gebäudes erwies sich eindeutig als Schankraum eines
Gasthauses, und zwar eines von der Art, die er normalerweise lieber mied, selbst wenn er in Rüstung und Waffen
war.
Der Raum war erstaunlich groß, aber so ungemütlich, als
wäre bei seiner Einrichtung vor allem auf eine abschrekkende Wirkung Wert gelegt worden. Es gab ein knappes
Dutzend grob gezimmerter Tische, von denen zwei von
einer verwegen aussehenden Männerrunde aneinander
gerückt worden waren, und eine niedrige Theke, hinter der
ein schmuddelig gekleideter Fettwanst stand, der einen
schmierigen Lappen über die linke Schulter geworfen hatte und eine speckige Lederschürze trug.
Zusammen mit ihnen war ein eisiger Lufthauch hereingeweht, der das Kaminfeuer Funken stiebend flackern ließ
und die Hälfte der Kerzen löschte, die zuvor den Raum
erhellt hatten. Eine Wolke aus Schnee und eisiger Nässe
fauchte an ihm vorbei und die Männerrunde unterbrach
abrupt ihr Gespräch und wandte sich ihnen zu.
»Heda! Was soll das?«, polterte der Wirt. »Kommt rein
oder bleibt draußen, aber macht gefälligst die Tür zu!«
Dulac erwachte aus seiner Erstarrung, zog Gwinneth hastig hinter sich ins Haus und riss die Tür geradezu ins
Schloss. Der Wind wurde
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