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Runen

Runen

Titel: Runen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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wieder, ließ den Motor an und fuhr rasch nach Hause. Dort genehmigte sie sich einen starken Kaffee, setzte sich an den Küchentisch und riss das Couvert auf. Ein kleiner Zettel fiel heraus. Zwei Zeilen in der Handschrift ihres Großvaters waren dort zu lesen:
     
    Zur Entfesselung aus Læðingur:
    324136
     
    Was war denn das für ein Unsinn?
    Nach einigem Überlegen löste sie die Schnur um das kleinere Päckchen, entfernte das Packpapier und öffnete eine kleine Schachtel.
    Melkorka stockte der Atem. Darin lag ein grobschlächtiger Silberring, von dem sie ein Totenschädel angrinste.
    Das widerwärtige Schmuckstück erregte ihren heftigsten Widerwillen. Trotzdem begann sie, den Ring genauer |36| zu untersuchen. Zu beiden Seiten des Totenkopfs gab es eine stilisierte Variante des Buchstabens S, dahinter ein Hakenkreuz und weitere Zeichen, die sie bei der ersten Betrachtung nicht erkannte.
    Mit spitzen Fingern fischte sie das Ding aus der Schachtel, um die Gravur an der Innenseite zu entziffern. Dort standen die Namen H. Himmler und H. Steingrim neben dem Datum 18. August 1943.
    H. Steingrim?
    Voller Abscheu und Verunsicherung wich Melkorka zurück und legte den Ring hastig zur Seite. Schließlich nahm sie das andere Päckchen aus der Tasche und durchtrennte die schwarze Schnur.
    Aus dem Packpapier kam ein Notizbuch in bräunlichem Ledereinband zum Vorschein, das von einer bronzefarbenen Spange zusammengehalten wurde. Mittig auf den Umschlag war ein reliefartiges ovales Zeichen geprägt, das sie noch nie gesehen hatte: ein Schwert mit plumpen Kugeln an beiden Enden der Parierstange bildete die Mittelachse. Drum herum wand sich eine Art Ehrenschleife. In einem äußeren Oval um das Symbol war eine Inschrift in ebenfalls reliefartig erhöhten Lettern angebracht.
    Melkorka entzifferte die abgeschabten Buchstaben einen nach dem anderen:
    DEUTSCHES AHNENERBE
    Sie hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte.
    Viele Seiten des Buches waren dicht und mit klarer Handschrift beschrieben. Die Buchstaben schienen aber in einer fortlaufenden Reihe ohne Zwischenräume aufeinanderzufolgen und waren außerdem meistens unkenntlich. Wenn das überhaupt ein Notizbuch sein sollte, dann hatte |37| ihr Großvater seine Gedanken in einer seltsamen Geheimschrift niedergeschrieben, die sie nicht enträtseln konnte.
    Auf manchen Seiten waren Schwarzweißfotos in das Buch eingeklebt.
    Melkorka betrachtete die Bilder nur oberflächlich, da ihr die Motive nichts sagten. Einige Fotos zeigten Gebäude, unter anderem Steingebäude, die wie Trutzburgen wirkten. Auf anderen wiederum waren Landschaften: Felsen, Seen, Hügel und Höhlen abgebildet. Und auf zweien waren Männer in Uniform zu sehen. Das erste zeigte eine Gruppe Soldaten, die mit vorgestreckten Händen unter bizarren, klobigen Felstürmen standen. Neben ihnen waren viele brennende Fackeln und Flaggen mit zwei der berüchtigsten Symbole des Nazi-Reiches: dem Hakenkreuz und der doppelten Sig-Rune der SS-Verbände. Auf dem anderen Foto posierten zwei Soldaten vor einem großen U-Boot.
    Schaudernd schloss Melkorka das Notizbuch und schob es in die schwarze Tasche zurück.
    |38| 9
    Helga Arnórsdóttir hatte sich während ihrer Studienzeit an der Universität Islands mit vielen Gebieten der Buchherstellung beschäftigt und sich so einiges Fachwissen angeeignet. Deshalb erkannte sie schnell, welche Schrift in dem Notizbuch verwendet worden war, das ihre Tochter unerwartet geerbt hatte.
    »Das sind zweifellos nordische Runen«, sagte sie. »Für Runen hatte sich Höskuldur in der Tat besonders interessiert. Ich erinnere mich, dass Steingrímur seinen Vater manchmal den großen Runenmeister nannte. Und er meinte das noch nicht mal spöttisch.«
    Sie blätterte durch die insgesamt sechsundvierzig sorgfältig nummerierten Seiten der Kladde. Gelegentlich betrachtete sie einen Eintrag genauer.
    »Zu den Wikingerzeiten waren in Nordeuropa verschiedene Runenreihen in Gebrauch«, fuhr sie fort. »Wissenschaftler nennen die Runenalphabete nach den ersten fünf Buchstaben das ›Futhark‹. Ich glaube, eines davon hatte sechzehn Buchstaben, ein anderes vierundzwanzig. Dazu gab es noch verschiedene Varianten einzelner Buchstaben. Jedenfalls bedeutet das, dass es insgesamt wesentlich weniger Runenzeichen gibt, als das heutige isländische Alphabet mit seinen zweiunddreißig bereitstellt. Immerhin stammt unser
þ
aus dem Runenalphabet.«
    |39| »Und was schreibt Opa da?«, fragte Melkorka.
    »Das sind ganz
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