Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Runen

Runen

Titel: Runen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
Vom Netzwerk:
offensichtlich einzelne Wörter und Sätze«, antwortete Helga. »Man sieht deutlich, dass Höskuldur einen Doppelpunkt auf mittlerer Zeilenhöhe gesetzt hat, um die einzelnen Wörter voneinander abzutrennen. Aber ich weiß nicht, welches Alphabet er verwendet hat oder ob er gar sein eigenes erfunden hat. Und ich weiß auch nicht, in welche Richtung er geschrieben hat. Runen zu lesen kann ganz schön schwierig werden. Es sei denn, du weißt, wie der Verfasser genau vorgegangen ist.«
    »Opa hat mit mir nie über Runen gesprochen.«
    »Möglicherweise sind Hinweise auf Höskuldurs Ansatz in seinem Arbeitszimmer zu finden.«
    »Ja, auf Heimaey drüben«, stimmte Kári mit einem Blick auf seine Frau zu. »Wir müssen vermutlich ohnehin bei Gelegenheit mal rüber, um nach seinem Haus zu sehen.«
    Melkorka hatte bis zu diesem Augenblick noch keinen Gedanken daran verschwendet, dass sie mit dem Tod ihres Großvaters auch ein Wohnhaus und seine übrigen Besitztümer geerbt hatte.
    »Das denke ich auch«, antwortete sie. »Ich habe aber keine Schlüssel zu dem Haus.«
    »Höskuldur muss Hausschlüssel bei sich gehabt haben, als er nach Reykjavík flog«, warf Helga ein.
    »Dann liegen die wahrscheinlich noch bei der Polizei«, setzte Kári hinzu.
    Melkorka blickte ihre Mutter an.
    »Traust du dir zu, diesen Runentext für mich in modernes Isländisch zu übersetzen?«
    »Kaum. Ich denke, es ist das Vernünftigste, für diese Aufgabe einen Runenspezialisten hinzuzuziehen.«
    |40| »An wen denkst du da?«
    Helga überlegte eine Weile.
    »Tja, der versierteste Fachmann, dem ich bisher begegnet bin, ist zweifellos der Dichter von Hvíthöfði«, meinte sie schließlich.
    Melkorka hatte von dem Mann noch nie gehört.
    »Beinteinn ist zwar schon hoch in den Siebzigern, aber er ist rüstiger als so mancher Jüngere. Er gab erst letztes Jahr vor Weihnachten immerhin noch einen neuen Gedichtband heraus.«
    »Glaubst du, er kann Opas Runen entziffern?«
    »Wenn es überhaupt jemand fertigbringt, dann am ehesten noch er. Es kann jedenfalls nicht schaden, ihm mal die Kopie einer Seite aus dem Notizbuch zu zeigen.«
    Melkorka nickte. Wieder spürte sie diesen unangenehmen Schauder ihren Rücken hinabrieseln, wenn sie an den grinsenden Totenkopf in der Aktentasche dachte.
    »Weißt du, was das für ein scheußlicher Ring ist?«
    »Nein. Aber nach den Symbolen auf dem Ding zu schließen, muss er auf irgendeine Weise mit den deutschen Nazis zu tun haben, und über die weiß dein ehemaliger Dozent Njáll hierzulande am meisten.«
    »Ich werde ihn anrufen«, sagte Melkorka.
    |41| 10
    Donnerstag, 26. April
    Njáll Gunnarsson, Historiker und Professor an der Universität in Reykjavík, hatte schon zu seinen Studienzeiten vor knapp vier Jahrzehnten mit seinen sorgfältigen Arbeiten über die politische Geschichte Islands zwischen beiden Weltkriegen auf sich aufmerksam gemacht. Durch seine Dissertation über den Einfluss des Engey-Familienclans auf die isländische Politik war er schließlich landesweit bekannt geworden.
    Als er am Nachmittag des folgenden Tages das Ehepaar besuchte, war er zuvor noch kurz die Namenslisten isländischer Geschichtswerke über die Aktivitäten der nationalsozialistischen Bewegung in Island durchgegangen. Außerdem hatte er auf einigen ausländischen Internetseiten weitere Informationen über Angehörige der deutschen SS-Verbände recherchiert. Auf den Namen Höskuldur Steingrímsson war er dabei jedoch nicht gestoßen. Er wurde nirgends im Zusammenhang mit der Tätigkeit der isländischen Nationalbewegung oder anderer Organisationen isländischer Nationalsozialisten erwähnt, die in den Vierzigern und Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts aktiv waren. Der Name fand sich auch weder in ausländischen Datenbanken zur Geschichte des Dritten Reiches noch in solchen über Heinrich Himmler und jene Soldaten, die einst Europas erbarmungslose Kriegsherren waren.
    |42| »Nach so einer kurzen und unsystematischen Durchsicht kann ich natürlich noch nichts ausschließen. Schon deshalb nicht, weil die Mitgliederliste der isländischen Nazis während des Krieges draußen auf der Halbinsel Álftanes verbrannt wurde«, sagte er und blickte Melkorka, Helga und Kári abwechselnd an. »Andererseits ist nicht abzustreiten, dass Höskuldur offenbar nirgends erwähnt ist. Weder in Papieren oder sonstigen Schriftstücken der Nazis oder ihrer Gegner noch in Büchern, die in den letzten Jahrzehnten über isländische Nazis verfasst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher