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Runen

Runen

Titel: Runen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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damit?«
    »Du hast doch sicher von den grauenhaften Menschenversuchen an Juden und Kriegsgefangenen in den Konzentrationslagern der Nazis gelesen? Furchtbare Untaten von Psychopathen wie Dr. Mengele.«
    Melkorka bejahte stumm.
    »Viele dieser Verbrechen wurden auf Veranlassung von Ahnenerbe ausgeführt. Der Leiter dieser Institution wurde nach der deutschen Kapitulation verhaftet, wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt und hingerichtet.«

    An diesem Abend war Melkorka jeglicher Appetit vergangen. Sie zog sich in einen der Sessel im Wohnzimmer wie in ein Nest zurück, verfolgte halb abwesend die Abendnachrichten, nahm gelegentlich einen Schluck grünen Tee und versuchte, sich das Verhalten ihres Großvaters bei ihrem Treffen im Hotel Borg zu vergegenwärtigen. Was er gesagt und wie er sich verhalten hatte. Sie erinnerte sich undeutlich daran, dass Höskuldur sie die ganze Zeit angestarrt hatte, ohne dass ihr das seltsam vorgekommen wäre: |46| Die Leute sahen sie immer an, wo sie sich auch aufhielt. Im Nachhinein aber erschien ihr sein Blick ungewöhnlich nahegehend. So als hätte er versucht, ein genaues Abbild von ihr mit in die Ewigkeit zu nehmen.
    |47| 11
    Freitag, 27. April
    Helga unternahm mehrere Versuche, dem Geheimnis des Runentextes im Notizbuch auf die Spur zu kommen. Aber alle ihre Bemühungen blieben erfolglos. Das Ergebnis war und blieb dasselbe: ein Buchstabensalat ohne Sinn, weder auf Isländisch noch auf Deutsch.
    Melkorka war es unangenehm, dieses dunkle Erbe in ihrer Wohnung zu wissen. Sie scannte alle Seiten des braunen Notizbuchs ein, brannte sie zusammen mit Scans der Fotos auf eine CD und verwahrte es mitsamt dem Totenkopfring im Familiensafe in der Landesbank.
    Danach rief sie bei der Polizei an, um sich nach dem Schlüsselbund ihres Großvaters zu erkundigen. Sie wurde mit Erna Sól Hafsteinsdóttir verbunden, die bestätigte, in Höskuldurs Anzug tatsächlich einen Schlüsselbund gefunden zu haben. »Wir brauchen diese Gegenstände nicht mehr, da die Ermittlungen zu dem Fall vollständig abgeschlossen sind«, verkündete sie, als Melkorka in ihrem Büro eintraf. »Anders ist es allerdings mit dieser Pistole aus Deutschland. Eine Luger P08, die ein Kriegsandenken zu sein scheint. Sie ist nirgends registriert und wird daher beschlagnahmt, so wie es das Gesetz will.«
    »Ich brauche eigentlich nur die Schlüssel«, entgegnete Melkorka.
    Wiederzu Hause, untersuchte sie flüchtig den Inhalt der |48| drei Plastikbeutel, die Erna ihr ausgehändigt hatte. In einem befand sich die Kleidung, die ihr Großvater bei ihrem letzten Abendessen im Hotel getragen hatte. Im anderen waren die blutige Uniform und die Mütze mit dem runden Loch in der Scheitelregion, im dritten schwarze Schuhe und Lederstiefel. Die Beamten hatten alle kleineren Gegenstände in die Aktentasche gepackt. Darunter den Schlüsselbund, den Flachmann, in dem noch ein Rest Cognac schwappte, Höskuldurs Lesebrille und den Abschiedsbrief. Alle diese Dinge, mit Ausnahme des Schlüsselbunds, verwahrte Melkorka in einem Stahlschrank in der Garage.
    In der oberen Etage des Einfamilienhauses hatte Melkorka ein Arbeitszimmer, in dem sie ungestört sein konnte. An den Wänden hingen viele große Fotos von ihr selbst, von ihrem Sohn und ihrem Mann. Den größten Teil des Tages verbrachte sie abwechselnd im Internet oder am Telefon auf der Suche nach irgendwelchen Informationen, die ein Licht ins Dunkel von Höskuldurs Geheimnis bringen konnten.
    Zuerst konzentrierte sie sich auf das Foto des U-Boots. Ihr ehemaliger Dozent hatte sie darauf hingewiesen, dass die Unterseeflotte des Dritten Reiches durchnummeriert gewesen war. Auskünfte über die Geschichte und Schicksale der U-Boote waren in Fachbüchern und in Datenbanken im Internet zugänglich.
    Nachdem sie das kleine Foto im Laptop größer gezoomt hatte, erkannte sie deutlich die ersten beiden Ziffern der Nummerierung. Es war eine ›70‹. Die uniformierten SS-Angehörigen verdeckten aber die dritte Ziffer.
    War das die U-700? Oder U-709? Oder eine Nummer dazwischen?
    |49| Im Internet fand Melkorka Informationen zu allen zehn U-Booten, die in Frage kamen, und konnte sofort die U-700 ausschließen. Sie war nie in Betrieb genommen worden. Zwei weitere, die U-704 und U-708, hatten die Deutschen bei Kriegsende am 3. Mai 1945 eigenhändig versenkt. Die anderen sieben hatten vermutlich die Alliierten auf den Weltmeeren ausgeschaltet. Die U-707 und U-709 verschwanden je in einem nassen Grab
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