Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft
Autoren: Ange Guéro
Vom Netzwerk:
seinem Gesicht etwas verändert hatte.
    Marikani fuhr fort: »In diesem heiligen Tempel schwöre ich, dass ich in der Tat als Aya Eola Taryns Marikani geboren wurde und dass in mir das mächtige Blut des Arrethas fließt - möge Um-Akr mich zerschmettern, wenn ich lüge!«
    Sie log .
    Oh, Arekh hatte so etwas schon oft genug erlebt - geschickte Politiker, die Meineide leisteten, Frauen, die in heuchlerischem Ton ihre Treue beschworen, Krieger, die entschlossen ihre Loyalität denen gegenüber beteuerten, die sie am selben Abend töten würden.
    Arekh wusste Wahrheit von Lüge zu unterscheiden - zumindest hatte der alte Arekh sich darauf verstanden, der sich nicht von trügerischen Gefühlen oder hohlen Idealen hatte blenden lassen - der Arekh, der dem Bösen ins Gesicht sah.
    Um-Akr streckte Marikani nicht nieder. Im Tempel schrien die Gesichter auf den Basreliefs nicht auf, keine Säule wankte, kein Balken knarrte auch nur.
    Doch für Arekh war die Zerstörung vollkommen.
    Alles in ihm brach zusammen, Stein für Stein, wie der Tempel hätte zusammenbrechen müssen und es doch nicht tat, alles in ihm schrie, wie der Gott hätte schreien müssen - aber das Gesicht der Statue blieb verschlossen und eisig wie der Geschmack des Verrats.
    Marikani konnte nicht Flöte spielen, weil sie Schmerzen im Handgelenk hatte.
    Alles, was Arekh seit Wochen bemerkt hatte, alles, was er erraten, aber falsch gedeutet hatte, all die Vorfälle, die er miterlebt hatte, hatten ihm die Wahrheit zugeschrien, aber er hatte nichts gesehen - oder nichts sehen wollen.

    Es war so einfach, so offensichtlich, so niederträchtig.
    Sein Entsetzen war so groß, dass er sich nicht rühren und beinahe nicht mehr atmen konnte. Marikani trat lächelnd von der Statue zurück und unterschrieb dann die Akte, die der Hohepriester ihr befriedigt vorlegte. Die Höflinge näherten sich ihr, um sie zu beglückwünschen. Marikani zwinkerte Lionor amüsiert zu, sah deren entsetztes Gesicht, folgte ihrem Blick bis zu Arekhs Miene …
    Und erstarrte.
    Weiter hinter scherzte Harrakin mit Vashni. Der Hohepriester schlug die Akte zu, und seine Assistenten räumten das Ritualgerät weg.
    Marikani zögerte; sie war sehr blass.
    Dann machte sie eine leichte Kopfbewegung und bedeutete Arekh, ihr in den Gang zu folgen, der sich zur Linken des Gerichtsgrabens öffnete und in die Krypta führte, in der die Sarkophage der Könige von Harabec standen.
    Sie entfernte sich unauffällig von der Gruppe, und Arekh ging um die Bänke herum, um zu ihr zu gelangen.
    Sie betraten den Gang und gingen dann stumm weiter, weg vom Hauptraum, bis hinter ihnen die Stimmen der Höflinge nur noch als fröhliches Gemurmel hörbar waren. Marikani blieb in der Tür eines Vorzimmers stehen, in dem Amphoren mit geweihtem Öl und unfertige Basreliefs gelagert wurden. Die Treppe, die in die Krypta hinabführte, lag zu ihrer Rechten.
    Hinter den großen Fenstern des winzigen Raums war der Himmel strahlend blau. Die warme, duftende Brise trug den süßen Geruch der Saani herbei.
    Arekh und Marikani sahen einander an.
    Er musterte sie eine Weile, ohne zu wissen, was er sagen sollte. Worte formten sich in seinem Mund und erstarben, bevor sie seine Lippen erreichten, als seien sie angesichts
der offensichtlichen Scheußlichkeit lächerlich, schwach und unpassend.
    Am Ende ergriff Marikani das Wort. »Ich dachte, Ihr wüsstet es«, sagte sie sanft. »Ich dachte, Ihr hättet verstanden.«
    Hass und andere unterdrückte Gefühle schnürten Arekh die Kehle zu, aber es gelang ihm dennoch, etwas zu sagen. »Verstanden? Wie hätte ich es verstehen können?«, fragte er mit heiserer Stimme. Er deutete in Richtung des Gerichtsgrabens, der Statue und des Tempels. »Wie konntet Ihr das tun?«
    »Wie konnte ich was tun?«, fragte Marikani. »Den Schwur leisten? Das habt Ihr doch gesehen: indem ich die Worte gesprochen habe.«
    Ihr Sarkasmus ekelte Arekh an; er wandte sich ab. »Halios hatte recht«, sagte er schließlich. »Er hatte recht. Ihr seid vielleicht kein Gespenst, aber, noch schlimmer, ein menschliches Scheusal. Ihr habt … Ihr habt den Platz dieses kleinen Mädchens eingenommen, als es gestorben ist?«
    »Ich habe das nicht wirklich willentlich getan«, sagte Marikani leise. »Azarîn hatte mich bemerkt. Ich habe den Unterrichtsstunden der … des … des anderen Mädchens gelauscht, während ich am Feuer Kleider geflickt habe. Dadurch, dass ich zugehört und abends heimlich einen Blick in die Bücher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher