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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft
Autoren: Ange Guéro
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dass er Marikani nackt im Bad gesehen hatte. Die Haut vieler Sklaven war im Laufe der Jahrhunderte aufgrund der häufigen Vergewaltigungen durch die Herren dunkler geworden - so auch ihre. Sie trug kein Mal. »Eure verfluchte Natur wird sich verraten. Früher oder später wird die Wahrheit ans Licht kommen.«
    »Die einzige Wahrheit ist die, dass ich eine großartige Königin bin«, erwiderte Marikani wütend. »Das ist die Wahrheit!«
    »Die Prophezeiung«, sagte Arekh plötzlich und spürte, wie sich große Kälte über ihn legte. » Und eines Tages wird aus Harabec eine große Flamme her vorgehen, und diese Flamme wird die Königreiche in Brand setzen …«
    Marikani sah ihn herausfordernd an. »Und?«
    »Der Hohepriester hat gesagt, dass die Wahl des nächsten Herrschers von großer Bedeutung wäre. Dass es ein Kind des Arrethas sein müsse, das die Unterstützung des Gottes hat, um sich der Zukunft stellen zu können. Ihr werdet alle verdammen! Ihr werdet durch Eure Lüge die Königreiche gefährden. Ihr seid nicht Marikani …«

    »Ich bin Marikani«, wiederholte sie verärgert, aber Arekh hörte ihr nicht zu.
    »Die Prüfung heute Abend! Wie wollt Ihr die Prüfung überleben? Wenn Ihr Euer Blut in die Hände des Arrethas legt, wird der Gott Euch niederstrecken, wie er es hätte tun müssen, als Ihr Zauberei gewirkt habt, die Wesen von dunklem Blut vorbehalten ist, wie Um-Akr Euch gerade eben hätte niederstrecken müssen …«
    Langes Schweigen folgte; Stück für Stück schwand aller Zorn aus dem Blick der jungen Frau. Sie betrachtete Arekh erst ungläubig, dann wie von einer seltsamen Traurigkeit ergriffen.
    Die Brise frischte auf und ließ die Blätter der Rankpflanzen draußen an der Wand erzittern.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte sie schließlich.
    »Sehr leid … Was denn?«, zischte Arekh und hatte abermals Lust, sie zu schlagen.
    Draußen vor dem Tempel zog singend ein Trupp Arbeiter vorbei. Ihr Frohsinn tat Arekh weh, als sei auch diese Freude falsch, als müsse das, was er gerade erfahren hatte, die ganze Welt und die Menschen rings um ihn verfaulen lassen.
    Marikani winkte matt ab. »Nein. Vergessen wir das. Auch in der Hinsicht dachte ich … Aber es ist wohl besser, wenn …«
    »Es reicht«, sagte Arekh mit kaum verhaltener Heftigkeit. »Genug der Lügen! Genug der Heuchelei! Sagt, was Ihr zu sagen habt. Die Götter …«
    »Es gibt keine Götter.«
    Die Arbeiter entfernten sich. Weiter weg erhoben sich fast unhörbar die Stimmen von Frauen.
    Arekh starrte sie verständnislos an. »Was?«
    »All das«, sagte die junge Frau mit einer vagen Gebärde,
die den Tempel ringsum einschloss. »Die Götter, die Prophezeiungen, die Magie, das dunkle Blut, die Verfluchung des Türkisvolks … Das ist alles Unfug, Arekh. Das sind nur Dinge, die die Priester sich ausgedacht haben, wenn sie zu häufig in Trance waren … Legenden, Geschichten.«
    »Aber … Ihr selbst … Die Rituale?«
    Marikani zuckte mit den Schultern. »Welche Rituale? Die bei Hofe sind inhaltsleer. In der Tränenstadt habe ich versucht, die Männer des Emirs fernzuhalten, indem ich ihnen Angst eingejagt und die Bevölkerung angelockt habe, durch Licht und Lärm. Sie konnten vor so vielen Zeugen nicht zuschlagen. Manche Zauberer glauben vielleicht an das, was sie tun, aber ich nicht. Azarîn hat mir beigebracht, die Augen offen zu halten. Mich nicht vom schönen Schein der anderen blenden zu lassen … Und ich dachte, Ihr wärt wie er«, fügte sie hinzu, indem sie ihn bekümmert und mit einer gewissen Zärtlichkeit ansah. »Ich dachte, dass Eure Erfahrung Euch anders gemacht hätte. Dass Ihr verstehen könntet. Dass Ihr Euch nicht mehr von dieser ganzen Komödie täuschen ließet …«
    »Das ist nicht wahr«, sagte Arekh; ihm war plötzlich eiskalt, und er zitterte beinahe. »Das ist lächerlich. Die Götter sind überall. Sie sind in uns, sie herrschen über die Sterne und die Erde.« Marikani schwieg; in ihren Augen stand immer noch derselbe verzweifelte Schimmer. »Sie schmieden unser Schicksal …«
    »Wir schmieden tagtäglich unser eigenes Schicksal. Jeder von uns. Ich werde mich heute Abend der Prüfung unterziehen und werde sie bestehen. Ich werde Harrakin heiraten und die beste Herrscherin sein, die Harabec seit langem hatte. Und die Götter werden nichts tun, weil sie nur Schatten sind.«
    »Nein!« Arekh kämpfte gegen den Zweifel an, gegen
den Wahnsinn der Frau, die vor ihm stand, eine Verrücktheit, die auch ihn zu erfassen
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