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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft
Autoren: Ange Guéro
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Hohepriester abgehalten wurde, war für den Abend vorgesehen; es sollte stattfinden, wenn der Mond, der einst Fîr gewesen war, am Horizont erschien. Ein Dutzend anderer Rituale würden die ganze Nacht lang folgen, bevor Marikani - wenn sie sich als würdig erwiesen hatte - die Erlaubnis erhielt, einen Teil ihres Blutes in die Schale fließen zu lassen, die sie der Arrethas-Statue in die Hände legen würde.

    Wenn sie würdig war und Arrethas sie nicht mit einem Blitz erschlug, dann würde sie die fünfhunderteinundzwanzigste Herrscherin von Harabec werden.
    Zu Beginn des Nachmittags wurden Lionor, Arekh und die zwanzig wichtigsten Persönlichkeiten des Hofes in den Um-Akr-Tempel bestellt, um einer raschen Abschlusszeremonie des Prozesses beizuwohnen. Der Hohepriester hatte vor zwei Tagen diskret sein Urteil gefällt: Marikani war keine Kreatur der Abgründe, die Anklage war unbegründet, und ihr Name war von jedem Makel reingewaschen. Er wollte jetzt, dass die wichtigsten Betroffenen vor aller Augen - oder zumindest vor den Augen derer, die im Palast etwas zählten - die Schlussakte unterzeichneten, um den Gerüchten ein Ende zu machen.
    Der Hohepriester und seine beiden Assistenten führten eine ganze Reihe von Ritualen vor Marikani durch, während das Grüppchen aus Höflingen an der Tür zum Gerichtsgraben wartete und leise plauderte. Die junge Erbin war an diesem Tag ausgesprochen schön, als wolle sie für die Prüfung besonders hell erstrahlen. Ihr scharlachrotes, im Rücken tief ausgeschnittenes Kleid war für einen Tempel alles andere als angemessen, aber niemand schien sich daran zu stören. Gegen die Wand gelehnt, betrachtete Harrakin interessiert die Formen der jungen Frau, die im Graben zwischen den beiden Sternen stand.
    Der neue Um-Akr-Priester spielte auf seiner geweihten Flöte eine Melodie, um dem Gott für seine Milde zu danken, und reichte das Instrument an die junge Frau weiter, die der Tradition nach darauf das Lied der Dankbarkeit und erwiesenen Unschuld hätte spielen sollen. Marikani lehnte mit einer höflichen Verneigung ab, und der Priester brachte die Weise selbst zu Ende.
    Die Höflinge schwatzten über den Wiederaufbau des
Westflügels. Vashni, die mit einem Auge den Abläufen folgte, beugte sich zu Arekhs Ohr. »Marikani kann nicht Flöte spielen«, erklärte sie. »Sie hat Schwierigkeiten mit dem Handgelenk.«
    Arekh nickte abgelenkt und spürte dennoch, wie ihn bei diesen Worten ein seltsames Unbehagen überkam. Bevor er sein Gefühl genauer ausloten konnte, deutete Vashni auf Harrakin.
    »Dieser Mann hat es nie verstanden, seine Begierden zu verhehlen«, sagte sie mit schalkhaft funkelnden Augen. »Nun seht Euch das an! Er zieht sie mit Blicken aus - und das an einem geheiligten Ort! Es handelt sich zwar um seine künftige Frau, aber der ein oder andere könnte das doch skandalös finden.« Dann sah sie wieder Arekh an. »Ihr seid aber doch nicht verheiratet?«
    »Verheiratet? Nein«, antwortete er erstaunt.
    »Keine verlassene Gattin, die mit gebrochenem Herzen irgendwo in einer regnerischen Gegend von Reynes hockt? Bei einem Mann wie Euch weiß man ja nie …«
    »Nein, schöne Dame«, erwiderte Arekh und neigte amüsiert den Kopf. »Ich habe zwar einige fürchterliche Fehler begangen, aber den einen nicht.«
    »Wisst Ihr, dass es Könige von Harabec gab, die neben ihrer offiziellen Gemahlin noch eine morganatische Ehefrau hatten?« Ein winziges Lächeln huschte über Vashnis Lippen. »Das ist zwar selten vorgekommen, aber durchaus schon geschehen. Nehmt etwa Meruilos den Starken … Er hatte seine Cousine geheiratet, wie es hier Sitte ist, und mit ihr zwei Kinder aus dem Blut des Arrethas gezeugt, aber seine Liebe galt seiner zweiten Gattin, einer jungen Bürgerlichen, der er in Harabec begegnet war. Sie hatte natürlich kein Recht, die Krone zu tragen, aber sie war dennoch sein Liebling. Und alle waren damit sehr glücklich.«

    Arekh vergaß über diese Worte Harrakin und sah wieder Vashni an. Es war nicht nötig, dass sie ihm die Gründe für ihren historischen Exkurs erläuterte. Er zögerte und fragte sich, ob sie scherzte, aber er sah nur das übliche amüsierte Funkeln in ihren Augen tanzen.
    »Oh, wirklich?«
    »Wirklich.« Vashni lächelte. »Werdet Ihr mich nun fragen, ob sich auch schon eine Königin von Harabec dazu entschlossen hat?«
    »Edle Vashni, ich habe bereits vor langer Zeit gelernt, Euch keine Fragen zu stellen. Man könnte fast annehmen, dass Ihr immer
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