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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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antworten. An seinem Werkzeuggürtel hing ein kleiner Behälter mit einem Notvorrat sauerstoffgesättigter Atemflüssigkeit. Ja, das hier war eindeutig ein Notfall! Er brauchte das Zeug, und zwar jetzt! Leon bremste den Scooter etwas, um die Hand von den Haltegriffen nehmen zu können, dann tastete er nach dem Auslöseknopf des Vorrats, fand ihn, drückte. Wartete auf den erlösenden Schwall, der in seine Lungen strömte. Doch nichts passierte. Verzweifelt hämmerte er den Daumen auf den Knopf, wieder und wieder. Nichts! Anscheinend hatte sich das Ding verklemmt.
    Ich ersticke! Verdammt, ich ersticke!
    Angst brannte in seinem Körper, füllte seinen Kopf wie ein roter Nebel. Doch das harte Training siegte. Leon rang die Panik nieder und hielt den Atem an. Er drehte den Scooter bis zum Anschlag auf und legte alle Kraft, die er hatte, in peitschende Flossenschläge. Er musste hier weg, nichts anderes war jetzt wichtig! Vielleicht konnte er es doch noch schaffen, dieser Todeszone zu entkommen, auch ohne den Notvorrat …
    »Leon! Melde dich!«
    Zu spät merkte Leon, dass er zu heftig Gas gegeben hatte. Durch den Ruck glitten seine Hände von den Haltegriffen des Scooters ab. Der Torpedo riss sich los und sauste, von Leons Gewicht befreit, in die Dunkelheit davon. Shit!
    Wahrscheinlich hatte das Ding schon wieder gestoppt; wenn keine Hände die Haltegriffe berührten, dann wurde automatisch der Motor gedrosselt. Doch selbst wenn der Scooter nur zwanzig Meter entfernt driftete – das war jetzt zu weit, viel zu weit. So weit schaffte er es nicht mehr.
    Leon war schwindelig, sein Körper begann zu kribbeln, und er wusste, dass er gleich ohnmächtig werden würde. Er hatte nur noch eine Minute, höchstens.
    Sechzig Sekunden Leben.
    Plötzlich war Lucy neben ihm, zerrte ihn weiter. Jetzt komm! Nicht so lange brauchen!
    Leon ließ es geschehen. Sein ganzer Körper fühlte sich schwach und matt an, und sein Geist glitt einfach weg, er konnte nichts dagegen tun. Das helle Oval eines Gesichts schwebte vor sein inneres Auge, kurze helle Haare leuchteten in der tropischen Sonne, ein jungenhaftes Lachen echote in seinem Kopf … Tim, der nun schon so lange sein Vater war … Tim … und da waren auch seine Eltern, verschwommen nur, wie auf einem unscharfen Foto … das Bild kippte, strudelte weg, und dann war da wieder nichts als Schwärze, die ihn zu verschlingen drohte.
    Schwach versuchte Leon noch einmal zu atmen, musste würgen, versuchte es noch mal – und fühlte, wie der eiserne Ring um seinen Hals sich ein klein wenig lockerte. Konnte das wirklich sein, war hier wieder Sauerstoff im Meer? Gierig keuchte er die Flüssigkeit ein, die sein Anzug ihm lieferte, und schon bald schrie sein Körper nicht mehr, jammerte nur noch ein wenig vor sich hin. Auf seinem DivePad blinkten alle möglichen Warnmeldungen, doch Leon ignorierte sie. Ihm war noch immer schwindelig, hoffentlich ging das in ein paar Minuten vorüber.
    Was war das?, fragte er Lucy und ihre Antwort war klein und kläglich, der winzige Funke eines Gedankens. Weiß nicht. Schrecklich ist das.
    Leon tastete nach seinem Sprechgerät, schaltete es ein. »Ellard? Hörst du mich?«
    »Was passiert da bei dir, Leon? Dein Puls war vor einer Minute über hundertneunzig!«
    Leon bewegte schwach die Lippen und die Computerstimme seines DivePads übersetzte es als Flüstern. »Ich glaube, jetzt könnten wir doch ein Tauchboot gebrauchen. Wär toll, wenn ihr euch beeilen würdet.«
    Dann ließ er sich treiben und versuchte seinen noch immer rasenden Herzschlag zu beruhigen. Zum ersten Mal konnte er sich vorstellen, warum andere Menschen die Dunkelheit der Tiefsee so finster und bedrohlich fanden.

Zwei Welten
    Sie versprachen ihm, dass die Marlin – eins der großen Tauchboote der Station – ihn aufnehmen würde. Es war zufällig nur ein paar Meilen entfernt, weil es gerade Besucher von der Oberfläche abgeholt hatte.
    Zuerst hörte Leon ein Summen, das sich im ganzen Wasser ausbreitete, dann sah er die Lichtpunkte von Bordlampen in der dunklen Unendlichkeit. Größer, immer größer wurden die Lichter, und schließlich kam das Tauchboot vor ihm zum Halten, ein gewaltiges Geschöpf aus Metall und Glas, an dessen Seiten Steuerpropeller kreisten. Scheinwerfer blendeten Leon, metallene Greifarme schienen sich ihm entgegenzurecken. Durch die große durchsichtige Halbkugel an der Vorderseite der Marlin konnte er Menschen erkennen – aha, Patrick saß am Steuer. Er hatte Leon gesehen
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