Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
Vom Netzwerk:
Die Kalmare schossen noch schneller durchs Wasser als Lucy vorhin.
    Die sind auf der Flucht , stellte Leon verdutzt fest. Was ist da vorne los, jagt ein Pottwal?
    Eine Welle des Unbehagens schwappte aus Lucys Gehirn auf ihn über. Nicht Pottwal – rotes Wasser! Ihre Arme ringelten sich um ihn, verkrampften sich um eins seiner Beine.
    Leon wurde nervös. Ihm dämmerte, wie seine Partnerin auf das »Rot« kam. Rot waren die Warnsymbole auf der Außenseite von Benthos II und ein rotes Licht begann zu rotieren, wenn in der Station Alarm ausgelöst wurde. Rot hieß Gefahr.
    Hastig drehte er sich im Wasser um die eigene Achse, ließ den Schein in Richtung Meeresboden wandern, versuchte zu erkennen, was genau Lucy so bedrohlich fand. Auf den ersten Blick sah er nichts Besonderes, nichts, was die Kalmare erschreckt haben könnte. Vielleicht war es nur ein kleiner Erdrutsch gewesen – Kalmare und Kraken waren ängstliche Tiere.
    Doch dann fiel ihm auf, dass er schon länger keinen Fisch mehr gesehen hatte. Auf dem Meeresboden vor ihm entdeckte er zwar ein paar Muscheln und Seesterne; aber auf den zweiten Blick erkannte er, dass sie alle tot waren. Da vorne lag der Kadaver eines Stelzenfischs – normalerweise konnten solche Fische mithilfe ihrer drei langen, spitzen Bauchflossen auf dem Meeresboden stehen und warteten so auf Beute.
    Weit und breit nur Leichen!, schickte Leon beunruhigt zu seiner Partnerin hinüber – und merkte plötzlich, dass ihm das Atmen schwerfiel. Er musste immer mehr Flüssigkeit einsaugen und wieder ausstoßen, damit sein Körper genug Sauerstoff bekam. Schnell kontrollierte er die Einstellungen seines Anzugs, doch an der OxySkin lag es nicht.
    Du hast recht, irgendetwas stimmt hier nicht mit dem Wasser, durchzuckte es ihn, aber von Lucy kam keine Antwort mehr, sondern nur noch ein panisches Weg hier, weg, Leon, schnell, komm!
    Sie löste sich von ihm und sauste davon.
    »Ich glaube, heute wird das Nobu seinem Ruf gerecht.« Carimas Mutter schnitt mit eleganten, präzisen Bewegungen ein Stück des Gelbflossen-Thunfischs mit Jalapeño-Pfeffer ab und schob es sich in den Mund. »Hm, ja, nicht übel. Sehr zart.«
    Carima konnte sehen, dass ihre Mutter schon halb vergessen hatte, dass ihre Tochter bei ihr war. Ihr Blick war nach innen gewandt, wahrscheinlich lief in ihrem Kopf gerade eine hochprofessionelle Analyse sämtlicher Zutaten ab. Oder sie dachte schon darüber nach, wie sie das Ganze in ihrem eigenen Vier-Sterne-Restaurant auf den Cayman Islands nachkochen und variieren würde.
    Carima war genervt. Sie hatte nicht darum gebeten, in einen Luxusschuppen wie das Waikiki Parc Hotel geschleift zu werden, eine gemütliche Hütte am Strand hätte ihr viel besser gefallen. Und wahrscheinlich erwartete ihre Mutter auch noch Dankbarkeit für das Essen in diesem Edelrestaurant mit den protzigen Kronleuchtern, in dem man pro Person locker hundertzwanzig Dollar loswurde. Dabei aß Carima am liebsten ganz einfache Spaghetti und fürs Kochen interessierte sie sich nicht besonders. Ihre Mutter hatte auch nie versucht, es ihr beizubringen.
    Lustlos zerlegte Carima mit der Gabel ihr Sashimi und ertränkte es in Sojasoße. Nach der Scheidung hatte ihre Mutter nicht einmal gefragt, ob Carima bei ihr wohnen wollte – stattdessen war sie ans andere Ende der Welt gezogen, um ihre Träume zu verwirklichen. Carima hatte Jahre gebraucht, um sich damit abzufinden, dass sie nicht Teil dieser Träume gewesen war, doch immer wieder kam die Bitterkeit in ihr hoch. Diesmal, weil Ma Jeremy nicht mitgebracht hatte – warum eigentlich? Drei Jahre war er jetzt alt und sie kannte ihn so gut wie nicht. Gerade zweimal hatte sie ihn gesehen, dabei war er ihr Bruder! Okay, Halbbruder. Aber er gehörte zur Familie und sie hatte sich auf ihn gefreut.
    Fehlanzeige. Keine Ferien mit kleinem Bruder. Möglicherweise wollte Ma nicht, dass Carima sich mit ihm anfreundete. Konnte ja sein, dass Jeremy sie tatsächlich mochte – dass er sie ab und zu in München besuchen wollte. Gott bewahre.
    »Könntest du bitte mal ein fröhliches Gesicht machen? Einmal nur?« Offensichtlich hatte ihre Mutter doch bemerkt, dass Carima da war.
    Na klar, aber gerne. Carima lächelte strahlend. »Na, wie schmeckt dir dein vom Aussterben bedrohter Fisch? Kann man den jetzt doch schon in Aquafarmen züchten?«
    Ihre Mutter verzog den Mund und legte die Gabel hin. »Dir schmeckt es also nicht. Schade. Wäre nett, wenn du mir nicht auch den Appetit verderben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher