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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht
Autoren: Karen Ranney
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überraschte er Douglas.
    »Ich habe ihn mit der Lektüre eines höchst erbaulichen Gedichtbands zugebracht, Sir. Darf ich Euch ein Kompliment zu Eurer Bibliothek machen?«
    »Das Lob gebührt in erster Linie meinem Bruder James«, sagte Douglas.
    »Dann übermittelt ihm doch bitte meinen Dank, Sir. Er hat in der Tat einen erlesenen Geschmack.«
    Die Eingangshalle des Hauses wurde von einer elegant gekrümmten Mahagonitreppe beherrscht, die beim Podest im zweiten Geschoss ihre Richtung wechselte und sich dann zum dritten Geschoss wendelte.
    Im Erdgeschoss lagen Douglas’ Bibliothek und Arbeitszimmer, der Salon, das Wohnzimmer, das Große Speisezimmer für Tischgesellschaften und das Kleine für die Familie, die Küche und zahlreiche andere Zimmer, die Douglas nur sehr selten benutzte. Den größten Teil des zweiten Geschosses nahmen die Schlafräume und zwei Gästezimmer ein, das dritte Geschoss beherbergte in sieben Zimmern die Hausangestellten. Der Kutscher und die Stallburschen hatten Quartiere über den Stallungen.
    Noch war das Haus zu groß für seine Bedürfnisse, aber er hatte es im Hinblick darauf gebaut, eines Tages eine größere Familie zu haben. Doch die Zeit verging, und er war der Verwirklichung dieses Gedankens nicht näher als vor zehn Jahren.
    Douglas begab sich in sein Allerheiligstes. Lassiter folgte ihm.
    »Möchtet Ihr vielleicht ein Glas Portwein, Sir?«
    Douglas schaute zum geschnitzten rechteckigen Konsoltisch hinüber, wo fünf Kristallkaraffen mit Silberverschlüssen und ziselierten MacRae-Wappen standen. Sein gesamter Besitz sprach dafür, dass er ein vermögender Mann war. Er war der Verwalter des MacRae-Vermögens in Edinburgh, doch sein persönlicher Anteil machte ihn reich genug, dass er sich seines Lebensunterhalts wegen nie den Kopf zerbrechen müsste. Zusätzlich zu diesem Haus besaß er Lagerhäuser in Leith, Schiffe und einen Fuhrpark. Sicher, das Vermögen war nicht mit dem der du Marchands zu vergleichen, aber er war ja noch jung.
    Lassiter hatte sein Schweigen offenbar als Zustimmung gedeutet, denn er brachte ihm ein Glas Port. Douglas nahm es mit einem Lächeln entgegen.
    »Geht zu Bett, Lassiter. Ich komme allein zurecht.«
    Der Majordomus sah ihn zweifelnd an.
    »Ich komme allein zurecht«, wiederholte Douglas.
    »Aber das müsst Ihr nicht, Sir.« Der Mann war Engländer, doch so starrsinnig wie ein Schotte. In diesem Fall erkannte er allerdings, dass er den Kampf verloren hatte. »Wenn Ihr wirklich sicher seid, Sir.«
    »Das bin ich.«
    Der Majordomus verließ den Raum, und Douglas schloss nachdrücklich die Tür hinter ihm. Er beschäftigte nicht viele Dienstboten, aber die für ihn arbeiteten, wussten, dass er größten Wert auf Ungestörtheit legte. Er war fraglos der Herr in seinem Haus.
    Bis zu diesem Moment.
    Die Erinnerung an Jeanne füllte plötzlich den Raum, ein Geist, der ihn mit ernsten, grauen Augen musterte.
    »Was wünschst du von mir?«
    Er lächelte über seine Phantasie. Jeanne würde nie so unterwürfig vor ihm stehen. Ihre Augen würden Blitze schleudern, und sie würde zu wissen verlangen, warum er sie zu sich zitiert habe. Andererseits lagen zehn Jahre zwischen ihrer letzten Begegnung und heute. Er hatte sie als Tochter eines reichen Edelmannes kennengelernt. Jetzt war sie Gouvernante.
    Douglas zog die Vorhänge auf. In dem Viertel, in dem er wohnte, waren Kutschen abends ab einer bestimmten Uhrzeit verboten. Darüber hinaus war die Fahrbahn mit Stroh bestreut, um das Geräusch der Räder zu dämpfen. Wohlstand brachte Komfort mit sich, einschließlich einer ungestörten Nachtruhe.
    Der Reichtum der du Marchands war legendär. Was war in den vergangenen Jahren geschehen? Zweifellos eine tausendfach wiederholte Geschichte. Die Aristokraten in Frankreich hatten seit drei, vier Jahren mit großen Widrigkeiten zu kämpfen.
    Als Douglas sich an den Fensterlaibungen abstützte, spürte er eine Verkrampfung in den Schultern. Er starrte in die Dunkelheit hinaus, als könnte er an den Häusern und der großen Kirche an der Ecke vorbei direkt in Jeannes Zimmer schauen.
    Jeanne. Mühelos kehrte er im Geist in das Paris von damals zurück. Er war siebzehn gewesen und so verliebt, dass er kein Essen, keinen Schlaf, nicht einmal Luft zum Atmen brauchte. Alles, was er brauchte, war Jeanne. Aber all seine Liebe hatte nicht genügt.
    Er erinnerte sich, wie er zu ihr gegangen war, um ihr zu erzählen, dass seine Eltern aus Nova Scotia nach Europa gekommen seien. Er
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