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Ruf der Sehnsucht

Ruf der Sehnsucht

Titel: Ruf der Sehnsucht
Autoren: Karen Ranney
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überflüssig.
    Jeanne machte sich bettfertig, hängte alles in den kleinen Schrank. Sie ging äußerst pfleglich mit ihren modischen, wenn auch schlichten Kleidern um, dem Geschenk einer Frau, die mit ihr zusammen gereist und Jeanne dankbar für die Pflege ihres kranken Kindes gewesen war.
    Jeanne strich behutsam über die Stickerei am Halsausschnitt des einen Kleides. Als Kind war sie regelmäßig wegen ihrer Handarbeiten gemaßregelt worden. Jedes Mal, wenn sie zur Nadel griff, endete es in einer Katastrophe. Eine ihrer phantasiebegabteren – und freundlichen – Gouvernanten hatte lächelnd gemeint, die Blutstropfen auf ihrer, Jeannes, Näharbeit sähen wie kleine Blüten aus. Dieselbe Gouvernante hatte später entdeckt, dass ihr Schützling nicht gut genug sah, um exakt handarbeiten zu können.
    Aber Mademoiselle Danielle war ebenso verschwunden wie alle übrigen Gouvernanten, die den jesuitischen Erziehungsstil des Comte bei einem zarten Mädchen nicht für angemessen hielten. Der von Mademoiselle Danielle bestellte Juwelier war vom Comte ebenso hinausgeworfen worden, und die Brille, die Jeanne dringend brauchte, durfte sie nur tragen, wenn kein Gast im Haus war und nicht die Gefahr bestand, dass sie damit gesehen wurde.
    Die Tochter des Comte du Marchand hatte makellos zu sein.
    Jeanne schlüpfte in ihr Nachthemd, nahm die Brille wieder ab und wusch Gesicht und Hände. Dann setzte sie sich zu dem Ritual auf die Bettkante, das sie sich im Kloster Sacré-Cœur angewöhnt hatte. Sie faltete die Hände, neigte den Kopf und hauchte kaum hörbar ihr Gebet.
    Bitte lass mich sterben heute Nacht. Lass mein Herz aufhören zu schlagen und meinen Atem stillstehen. Bitte lass mich nicht noch einen Tag heraufdämmern sehen.
    Heute Abend jedoch kam ihr das Gebet nicht so flüssig über die Lippen.
    Sie wusste, dass sie eines Tages die Konsequenzen ihres Tuns tragen müsste. Keine Erklärung, die sie dafür geben könnte, nichts, was sie sagte, würde ihre Schuld tilgen.
    Wenn sie mutiger wäre, dachte sie, würde sie jetzt spornstreichs nach unten gehen und um die Erlaubnis bitten, mit Douglas unter vier Augen sprechen zu dürfen. Dann würde sie ihm von den Monaten erzählen, die sie auf ihn gewartet hatte, und davon, wie feige sie wurde. Und sie würde gestehen, umfassend als wie sie es je vor einem Menschen getan hatte, wie sehr sie bedauerte, was als Nächstes geschah.
    Nicht einmal Gott könnte ihr jemals wahrhaft vergeben, aber es wäre eine Erleichterung, es bei Douglas endlich auszusprechen.
    Ich habe mich eines Mordes schuldig gemacht.

Kapitel 3
    D ouglas verabschiedete sich von seinem Gastgeber nicht so schnell, wie er es gern getan hätte, aber wahrscheinlich schneller, als es höflich war. Je länger er Hartley zuhörte, umso unsympathischer wurde ihm sein Gegenüber, und als Hartley wieder auf Jeanne zu sprechen kam, wuchs Douglas’ Verärgerung über ihn noch mehr. Schließlich war er so weit, dass er dem Mann im Geist mit der Faust die Nase einschlug.
    Douglas beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen, und ließ Stephens, seinen Kutscher, im Schritttempo voranfahren. Er wollte Zeit zum Nachdenken, aber bevor er um die Ecke bog, drehte er sich zu Hartleys Haus um. Der prächtige dreigeschossige Backsteinbau wirkte mit seinen hell erleuchteten Fenstern behaglich und einladend.
    Douglas’ Blick glitt zum dritten Geschoss, wo er Jeannes Zimmer vermutete. Machte sie sich gerade fertig für die Nacht, oder saß sie vielleicht noch am Bett ihres Schützlings? Gehörte das zu den Pflichten einer Gouvernante, oder oblag die Betreuung des Jungen einem Kindermädchen, und Jeanne würde erst morgen früh wieder an ihn denken? Seine Kenntnisse über Gouvernanten waren dürftig.
    Wenn er bisher an Jeanne gedacht hatte, empfand er Zorn – entweder auf das Schicksal, weil es sie seiner Bestrafung entzogen hatte, oder auf sich selbst, weil er sich wie ein dummer Junge an der Nase hatte herumführen lassen.
    Jetzt jedoch empfand er nichts als Hass, ein Gefühl, das so stark war, dass er am liebsten zurückgegangen wäre, Einlass gefordert hätte und an dem Diener vorbei die Treppen hinaufgestürmt wäre. Dann hätte er bei Jeanne angeklopft, und sie hätte ihm in ihrem bescheidenen, dunkelblauen Kleid geöffnet und mit gesenktem Kopf vor ihm gestanden.
    Er wünschte sich diese Begegnung mit ihr so sehr, dass ihm bei dem Gedanken daran die Kehle eng wurde.
    Entschlossen schob er die Erinnerungen an damals beiseite. Er
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