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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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Einleitung
oder: Morgenland ist
abgebrannt
    V or ein paar Jahren war ich ein unglücklicher Politologie-Student an einer durchschnittlichen deutschen Universität. Das Studium lief nicht besonders gut, und die Identitätskonflikte keimten allmählich in mir auf. Aus dem einst neugierigen ägyptischen Studenten, der nach Deutschland gekommen war, um Wissen zu erlangen und in Freiheit leben zu können, war auf einmal ein hilfloser Kulturkämpfer geworden, der für sein Gastland nur noch Verachtung übrig hatte. Die Schwächen meiner eigenen Kultur und die persönlichen Konflikte, die ich nach Deutschland mitgebracht hatte, wagte ich nicht auszupacken. Mir blieb nur, eine Art Identitätspoker zu spielen.
    Die wichtigste Karte in diesem Spiel war, die eigene Kultur zu verniedlichen und die Kultur der anderen zu verteufeln. Dazu gehörte, alle meine persönlichen Ängste und kulturellen Unsicherheiten auf Deutschland zu projizieren. Und so fing ich an, in den Geschichtsbüchern nach den Schandflecken des Westens zu suchen, von den Kreuzzügen über Kolonialismus und Imperialismus bis hin zum Neoliberalismus und Wirtschaftsprotektionismus. Ich liebte es, Deutschen zuzuhören, die sich selbst zerfleischten und die eigene Kultur geißelten.
    In dieser Phase stieß ich bei einem Bekannten auf ein altes Buch, das mir zunächst als eine Goldgrube erschien: Oswald Spenglers »Der Untergang des Abendlandes«. Ich glaubte, darin alle Argumente gegen die dekadente westliche Zivilisation zu finden, die mich als frommen Muslim so sehr überforderte, und empfand keine geringe Schadenfreude angesichts des bevorstehenden Endes dieser Kultur. Doch schon bevor ich die lange Einleitung des monumentalen Werkes gelesen hatte, war ich bereits ermüdet. Abgesehen davon, dass das Buch in einer Gelehrtensprache geschrieben wurde, die für einen ausländischen Studenten, der erst vor wenigen Jahren Deutsch erlernt hatte, schwer verständlich war, hatte der Inhalt des Buches mich schockiert. Denn der Zustand der untergehenden Zivilisation, wie Spengler ihn beschreibt, kam mir sehr bekannt vor. Die in die Jahre gekommene Kultur, die kalt und seelenlos geworden und vom Materialismus und von formloser Gewalt unterwandert war, kannte ich gut. Ich plagte mich durch den schweren Text, bis ich auf diese Passage stieß:
    »Zuletzt, im Greisentum der anbrechenden Zivilisation, erlischt das Feuer der Seele. Die abnehmende Kraft wagt sich noch einmal, mit halbem Erfolg – im Klassizismus, der keiner erlöschenden Kultur fremd ist, an eine große Schöpfung; die Seele denkt noch einmal – in der Romantik – wehmütig an ihre Kindheit zurück. Endlich verliert sie, müde, verdrossen und kalt, die Lust am Dasein, und sehnt sich – wie zur römischen Kaiserzeit – aus tausendjährigem Lichte zurück in das Dunkel urseelenhafter Mystik, in den Mutterschoß, ins Grab zurück.«
    Ich las diese Passage mehrmals, so lange, bis ich sie schließlich verstand. Dann legte ich das Buch beiseite. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Spenglers Analyse in vielerlei Hinsicht auch auf den Zustand der heutigen islamischen Welt zutrifft. Ich sah vor mir die vielen Muslime, von denen ich weiß, dass sie sich in der modernen Welt nicht zurechtfinden und sich in eine vorgebliche Religiosität flüchten. Ich sah die aufmarschierenden Islamisten, die sich dem Geist der Zeit verschließen und von der imaginären Urgemeinde des Islam in der Stadt Medina schwärmen. Ich sah mich. Ich empfand keine Schadenfreude, sondern Verunsicherung und Wut und musste die Lektüre unterbrechen. Ich hatte Angst, dass meine Vorstellung von meiner eigenen Kultur nichts anderes war als eine Blase, in der ich mich vor der Realität über Jahre versteckt hatte. Von nun an hasste ich Spengler und sein Buch und Deutschland umso mehr. Für eine kopernikanische Wende war es noch zu früh.
    Erst mehr als zehn Jahre später wagte ich mich noch einmal an »Den Untergang des Abendlandes«. Mein Deutsch war zwar immer noch nicht perfekt, aber ich verstand diesmal mehr. Nun las ich das Buch mit anderen Augen und versuchte dabei Spenglers Rat zu folgen, dem Untergang der eigenen Kultur »gefasst in die Augen zu schauen«. In Analogie zum Sprießen, Blühen und Verwelken einer Pflanze hatte der Münchner Privatgelehrte Oswald Spengler in seinem 1918 erschienenen Buch versucht, den Lebenszyklus einer Kultur als »Morphologie der Geschichte« zu erklären. Ein Bild, das er vermutlich vom arabischen
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