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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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komme nachher wieder«, sagte ich zu Madeline, die sich um alles kümmerte.
    »Bist du sicher?«, fragte sie. »Du siehst angeschlagen aus.«
    »Es geht schon. Ich bin nur müde.«
    Ich ging nach Hause und verkroch mich ins Bett. Mein Körper sank in die Matratze, aber in meinem Kopf lief Daddys Leben ab wie ein Film. Ich weinte, bis er zu Ende war, und dann war es dunkel, und Dottie rüttelte mich.
    »Steh auf«, sagte sie.
    »Warum?«, fragte ich mürrisch.
    »Jetzt komm schon. Und sei leise.«
    »Wie spät ist es?«
    »Ungefähr ein Uhr.«
    »In der Nacht? Meine Güte, Dottie.«
    Mühsam stand ich auf und schlüpfte in ein Paar Shorts und ein Sweatshirt, die neben dem Bett auf dem Boden lagen. Dann zwängte ich meine Füße in die Turnschuhe.
    Dottie schleifte mich aus dem Haus und hinunter zum Kai. Dort bogen wir nach rechts ab, zum Strand, wo eine dunkle Gestalt neben einem Ruderboot wartete. Bud.
    »Steigt ein«, flüsterte er, und er ruderte uns hinaus in die Bucht, wo die Florine vor Anker lag. Doch wir glitten an ihr vorbei. »Was habt ihr vor?«, fragte ich. Bud antwortete nicht, sondern ruderte weiter bis zur Maddie Dee, die ein Stück weiter draußen lag. An Bord sah ich die Umrisse mehrerer Leute. Zigaretten brannten kleine, orangegelbe Löcher in die Nacht. Bevor ich wieder anfangen konnte zu weinen, hievten die Männer mich und Dottie über das Schandeck, während Bud das Ruderboot neben drei weiteren festmachte und an Bord kletterte. Sam, Bert, Ray, Bud, Glen und Pastor Billy paddelten die Maddie Dee aus der Bucht. Dottie und ich standen neben den sterblichen Überresten meines Vaters, die jetzt in ein weißes Tuch gehüllt waren, das so hell leuchtete, als wäre ein Mondsplitter vom Himmel gefallen und auf dem Deck gelandet.
    Als wir weit genug draußen waren, startete Bert den Motor der Maddie Dee, und wir tuckerten hinaus aufs offene Meer, vorbei an den Hummerfallen und an der Stelle, wo wir den Zwergwal gesehen hatten und wo Daddy gestorben war.
    Nach einer Weile hielt Bert das Boot an und machte den Motor aus. Die Wellen klatschten leise gegen den Rumpf, und wir stellten uns in einem Kreis um Daddy auf.
    »Tja«, sagte Sam, »wir sind gekommen, um dich nach Hause zu bringen, mein Alter.«
    »Sollten wir nicht ein Gebet sprechen oder so?«, fragte Glen.
    »Heute Morgen sind genug Gebete gesprochen worden«, sagte Ray. »Entschuldigung, Pastor.«
    »Schon in Ordnung«, sagte Billy »Wir brauchen keine Worte.«
    »Na, dann los«, sagte Sam.
    »Warte«, sagte Bud. »Vielleicht möchte Florine noch etwas sagen?«
    Ich betrachtete die Männer, die um Daddy herumstanden, und rückte ein Stück an Dottie heran. »Danke«, sagte ich. »Hier wird Daddy sich wohler fühlen. Vielen Dank dafür.«
    »Verratet bloß Stella nichts davon«, sagte Glen, und alle lachten.
    Dann hoben die Männer Daddy hoch, als wäre er so leicht wie Styropor, stützten das Brett, auf dem er lag, am Schandeck ab und hielten es schräg. »Möge Gott dir Frieden schenken, Lee«, sagte Sam. Daddy glitt hinunter und platschte ins Wasser wie ein Seehund, der in sein Element zurückkehrt. Das Tuch leuchtete phosphoreszierend, als er hinabsank zu den Fischen und Hummern, die ihn besser kannten als die Würmer und kurzen Prozess mit ihm machen würden.
    Schließlich traten die anderen zurück und ließen mich allein auf das dunkle Wasser starren. Ein leichter Wind spielte mit meinem Haar und kitzelte mich sanft im Nacken. Ich lächelte unter Tränen. Dann zog ich den Ring mit dem kleinen Smaragd vom Finger und warf ihn in die Fluten, wo Daddy versunken war.
     
    Ein paar Nächte später lag ich in Grands Bett. Es war ungefähr Mitternacht. Ich starrte in das kalte Licht des Vollmonds, das auf die Wand des Schlafzimmers fiel. Es war sehr warm, und ich lag auf den Laken, nur mit einem dünnen Hemd bekleidet. Erschöpft vom Weinen und von dem unruhigen Schlaf, aus dem ich immer wieder hochschreckte, ließ ich mich in Grands Matratze sinken und gab es auf, darüber nachzudenken, wie es weitergehen würde.
    Es überraschte mich kaum, als das Mondlicht an der Wand sich auf einmal in tanzende Flammen verwandelte. Ebenso wenig erstaunte es mich, dass ich, als ich vom Bett aufstand und dem Licht entgegenging, plötzlich auf dem Pfad im Wald war, der zu den Klippen führte. Die Nacht war zum Tag geworden, und in den smaragdgrünen Blättern der Bäume strahlte der Sommer.
    Obwohl das Meer in Flammen zu stehen schien, hatte ich keine Angst. Ich ging
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